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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Russell Hatta, der übergeschnappt wie ein Hutmacher ist. Darum nennen wir ihn auch den Hutmacher. Beide sind, wie du dir sicherlich schon denken kannst, verrückt.«
    »Ich habe aber keine Lust, Verrückte oder Rasende zu treffen.«
    »Wir sind hier alle verrückt. Ich bin verrückt. Du bist verrückt.«
    »Ich? Stimmt nicht! Warum sagst du sowas?«
    »Wenn du nicht verrückt wärst«, erklärte ich, schon etwas gelangweilt, »wärst du nicht hierhergeraten.«
    »Du redest in lauter Rätseln   …«, begann sie, riss aber plötzlich die Augen auf. »He   … Was ist mit dir?Cheshire-Kater! Verschwinde nicht! Bitte verschwinde nicht!«
    »Liebes Kind«, sagte ich sanft. »Nicht ich verschwinde, sondern dein Gehirn hört auf zu funktionieren, es ist nicht einmal mehr zu einer Wahnvorstellung fähig. Die Funktionen kommen zum Erliegen. Mit anderen Worten   …«
    Ich sprach nicht zu Ende. Irgendwie konnte ich mich nicht durchringen, zu Ende zu sprechen. Ihr mitzuteilen, dass sie gerade starb.
    »Ich sehe dich wieder!«, rief sie triumphierend. »Du bist wieder da. Mach das nicht wieder. Verschwinde nicht so plötzlich. Das ist schrecklich. Der Kopf dreht sich einem davon.«
    »Ich weiß.«
    »Ich muss jetzt gehen. Auf Wiedersehen, Cheshire-Kater.«
    »Ade, Alice Liddell.«
     
    Ich eile den Ereignissen voraus. An jenem Tage habe ich nicht mehr gefaulenzt. Aus dem Schlaf und der wohligen Lethargie gerissen, war ich nicht mehr imstande, in mir die vorherige Stimmung aufzubauen. Tja, diese Welt geht zum Teufel. Es gibt keine Rücksicht und keinen Respekt mehr gegenüber schlafenden oder ruhenden Katzen. Wo sind die Zeiten hin, da der Prophet Mohammed, als er aufstehen und in die Moschee gehen, aber nicht die auf einem Ärmel seines Gewandes schlafende Katze wecken wollte, den Ärmel mit dem Messer abschnitt? Keiner von euch, da gehe ich jede Wette ein, wäre zu solch einer edlen Tat fähig. Ich halte es daher auch für ausgeschlossen, dass einer von euch Prophet wird; da kann er von Mekka nach Medina und zurück rennen, bis er schwarz wird. Nun ja, wie Mohammed dem Kater, so der Kater dem Mohammed.
    Ich zögerte höchstens ein Stündchen lang. Dann   – ich wunderte mich über mich selbst   – kletterte ich vom Baum und begab mich ohne unangemessene Eile den schmalen Waldweg entlang zum Wohnsitz von Archibald Haigha, genannt der Schnapphase. Ich hätte mich natürlich, wenn ich nur gewollt hätte, in Sekundenschnelle bei dem Hasen befinden können, doch das hielt ich für zu viel der Liebesmühe; es hätte den Eindruck erwecken können, mir sei irgend daran gelegen. Vielleicht lag mir auch ein wenig daran, doch ich hatte keine Lust, das zu zeigen.
    Bald schon schienen im ockerfarbenen und gelben Herbstlaub der umstehenden Bäume die roten Dachziegel auf dem Häuschen des Schnapphasen auf. An meine Ohren aber drang stimmungsvolle Musik. Jemand   – oder etwas   – spielte und sang fein leise »Greensleeves«. Eine Melodie, die bestens zu Ort und Zeit passte.
     
    Alas, my love, you do me wrong
    To cast me off discourteously
    And I have loved you oh so long
    Delighting in your company   …
     
    Auf den Platz vor dem Häuschen hatte man einen mit einem sauberen Tuch gedeckten Tisch gestellt. Auf dem Tisch standen Teller, Tassen, eine Teekanne und eine Flasche Whisky Chivas Regal. Am Tisch saßen der Gastgeber, der Schnapphase, und seine Gäste: der Hutmacher, der fast ständig hier war, und Pierre Dormousse, der hier   – wie auch überall sonst   – äußerst selten vorkam. Am Kopfende des Tisches aber saß die dunkeläugige Alice Liddell, mit kindlicher Lässigkeit in einen Korbsessel gelehnt, eine Tasse in beiden Händen. Es schien ihr nicht das Mindeste auszumachen, beim
five o’clock whisky and tea
einem Hasen mit unordentlichen BarthaarenGesellschaft zu leisten, dazu einem Zwerg mit idiotischem Zylinder, steifem Kragen und gepünktelter Fliege sowie einer dicklichen Haselmaus, die mit dem Kopf auf dem Tisch döste.
    Archie, der Schnapphase, erblickte mich als Erster.
    »Schaut mal, wer da kommt«, rief er, und das Timbre seiner Stimme deutete unmissverständlich darauf hin, dass Alice die Einzige war, die in dieser Gesellschaft Tee trank. »Wer nähert sich da? Täuschen mich womöglich meine Augen? Könnte das gar, um Agur, den Sohn Jakes, zu zitieren, das edelste aller Tiere sein, von feinem Gang, das wohl gehet?«
    »Nicht anders, als dass irgendwo insgeheim das siebte Siegel geöffnet wurde«,

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