Eugénie Grandet (German Edition)
Tage ihrer Erlösung in Trauer und Gebet zu leben.
»Meine Mutter hatte recht«, sagte sie weinend »Leiden und sterben!«
Mit langsamen Schritten verließ sie den Garten und begab sich in den Saal. Den dunklen Flur, den ihre Liebe geweiht hatte, mied sie nun. Im grauen Saal aber redete alles zu ihr von ihrem Cousin. Da war der Kamin, und auf seinem Sims stand eine gewisse Untertasse, die ihr jeden Morgen beim Frühstück diente, wie auch die alte Zuckerdose aus Sèvres-Porzellan.
Dieser Morgen sollte ernst und ereignisvoll werden – auch noch in anderer Hinsicht.
Nanon verkündete den Besuch des Pfarrers. Der Pfarrer war ein Verwandter der Cruchots und war mit dem Präsidenten de Bonfons im Einverständnis. Vor einigen Tagen hatte der alte Abbé ihn zu bestimmen gewußt, Mademoiselle Grandet aus religiösen Gründen von der Notwendigkeit einer Ehe zu überzeugen.
Als Eugénie den Pfarrer erblickte, glaubte sie, er wolle die tausend Francs holen, die sie monatlich den Armen spendete, und trug Nanon auf, das Geld herbeizubringen; aber der Pfarrer lächelte: »Heute, Mademoiselle, will ich Ihnen von einem armen Mädchen sprechen, an dem ganz Saumur Anteil nimmt und das nicht christlich lebt – aus Mangel an Mitleid mit sich selbst.«
»Ach Gott! Monsieur le Curé, Sie kommen in einem Augenblick, wo es mir unmöglich ist, an meinen Nächsten zu denken, ich habe mit mir selbst zu tun. Ich bin sehr unglücklich. Meine einzige Zuflucht ist die Kirche; sie hat Raum genug, all unsere Schmerzen zu fassen, und sie hat Mitgefühl genug, daß alle davon trinken können, ohne es zu erschöpfen.«
»Nun also, Mademoiselle, wenn wir von diesem Mädchen sprechen, befassen wir uns ja mit Ihnen. Hören Sie zu! Es gibt für Sie nur zwei Wege, die zum Heile führen: entweder Abschied nehmen von der Welt – oder ihren Gesetzen folgen; gehorsam sein der irdischen Bestimmung oder dem himmlischen Streben.«
»Oh! Ihre Stimme spricht zu mir, da ich nach einer Stimme lechzte. Ja, Gott hat Sie hergesandt, Monsieur. Ich werde der Welt Lebewohl sagen und allein für Gott leben – in Stille und Einsamkeit.«
»Eine solche Entschließung erfordert reifliches Überlegen, meine Tochter. Die Ehe ist Leben, der Schleier ist Tod.«
»Gut, gut! Der Tod, gerade ihn suche ich, Monsieur le Curé!« erwiderte sie lebhaft.
»Den Tod? Aber Sie haben Verpflichtungen gegen die menschliche Gesellschaft! Sind Sie nicht die Mutter der Armen, denen Sie Kleidung geben, Holz im Winter und Arbeit im Sommer? Ihr großes Vermögen ist ein Darlehen, das Sie zurückzahlen müssen, und Sie haben bisher fromm danach gehandelt. Sich in ein Kloster zurückziehen, wäre Egoismus; Sie dürfen überhaupt nicht ledig bleiben. Zunächst: wie sollten Sie Ihr ungeheures Vermögen allein aufzehren können? Sie würden es vielleicht verlieren. Sie würden bald tausend Prozesse am Halse haben und hätten mit den verwickeltsten Schwierigkeiten zu kämpfen. Glauben Sie Ihrem Pfarrer: ein Gatte ist Ihnen nötig; Sie müssen behüten, was Gott Ihnen anvertraut hat. Ich spreche zu Ihnen als meinem lieben Beichtkinde. Sie sind dem Willen Gottes innig ergeben – suchen Sie Ihr Heil inmitten der Welt, der Menschen, deren schönste Zierde Sie sind und denen Sie ein erhabenes Beispiel geben."
In diesem Augenblick ließ Madame des Grassins sich melden. Befriedigte Rache und große Verzweiflung führten sie her.
»Mademoiselle Grandet...« sagte sie. – »Ah! Monsieur le Curé; ich ziehe mich zurück. Ich wollte von geschäftlichen Dingen reden und finde Sie anscheinend in ernster Unterredung.«
»Madame«, sagte der Pfarrer, »ich räume Ihnen das Feld.«
»O Monsieur le Curé«, sagte Eugénie, »kommen Sie in ein paar Minuten wieder; ich bedarf gegenwärtig sehr Ihres Zuspruchs.«
»Jawohl, mein armes Kind«, sagte Madame des Grassins.
»Wie meinen Sie das?« fragten Mademoiselle Grandet und der Pfarrer.
»Ich weiß von der Rückkehr Ihres Cousins, von seiner Heirat mit Mademoiselle d'Aubrion... O ja, eine Frau ist nie auf den Kopf gefallen.«
Eugénie errötete und blieb stumm. Aber sie nahm sich vor, künftighin den undurchdringlichen Gleichmut zu bewahren, den ihr Vater zur Schau zu tragen wußte.
»Dann, Madame, muß ich doch wohl auf den Kopf gefallen sein«, sagte sie ironisch lächelnd; »ich verstehe Sie nicht. Reden Sie, reden Sie getrost vor Monsieur le Curé, Sie wissen ja, er ist mein Beichtvater.«
»So lesen Sie also, Mademoiselle, was des Grassins mir
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