Eugénie Grandet (German Edition)
Präsidenten also die Millionen!« sagte Mademoiselle de Gribeaucourt.
»Ja, es ist klar: der Präsident de Bonfons wird Mademoiselle Grandet heiraten«, rief Madame d'Orsonval.
»Seht, das ist die beste Karte, die heute gezogen worden ist«, sagte der Abbé.
Jeder machte seine Bemerkung, jeder machte seinen Witz, alle erblickten die Erbin auf ihren Millionen thronen wie auf einem Piedestal. Das vor neun Jahren begonnene Drama fand endlich seinen Abschluß. Vor den Augen von ganz Saumur den Präsidenten zum Bleiben bitten – was konnte das anders heißen, als daß sie ihn zu ihrem Gemahl machen wollte! In einer Kleinstadt werden die gesellschaftlichen Regeln so streng befolgt, daß ein solcher Bruch der Etikette einem feierlichen Versprechen gleichkam.
»Monsieur le Président«, sagte Eugénie bewegt, als sie sich mit ihm allein sah, »ich weiß, was Ihnen an mir gefällt. Schwören Sie mir, mir mein Leben lang die Freiheit zu lassen, mir gegenüber keins der Rechte auszuüben, welche die Ehe Ihnen einräumt – und meine Hand gehört Ihnen. Oh!« fuhr sie fort, als sie sah, daß er in die Knie sank, »ich habe noch nicht alles gesagt. Ich darf Sie nicht betrügen: ich trage eine unsterbliche Liebe im Herzen. Das einzige Gefühl, das ich meinem Gatten schenken kann, ist Freundschaft. Ich will ihn nicht kränken, doch ebensowenig die Stimme meines Herzens ersticken. Noch eins: Ich kann Ihnen meine Hand und mein Vermögen nur gegen den Preis eines großen Dienstes, den Sie mir erweisen müßten, anvertrauen.«
»Sie sehen mich zu allem bereit«, sagte der Präsident.
»Hier sind eine Million fünfhunderttausend Francs, Monsieur le Président«, sagte sie und zog aus ihrem Busen eine Quittung über hundert Aktien der Bank von Frankreich; »reisen Sie nach Paris, nicht morgen, nicht heute nacht, sondern augenblicklich. Begeben Sie sich zu Monsieur des Grassins, erkundigen Sie sich nach den Namen aller Gläubiger meines Onkels, versammeln Sie diese, bezahlen Sie alles, was noch zu bezahlen ist – Kapital und Zinsen zu fünf Prozent vom Tage der Schuld bis zum Tage der Einlösung; ferner sorgen Sie dafür, daß eine notariell beglaubigte Generalquittung ausgestellt wird. Sie sind Richter – ich kann in dieser Sache einzig und allein in Sie mein Vertrauen setzen. Sie sind ein gerechter, ein vornehmer Mann; ich vertraue auf Ihr Wort und werde den Gefahren des Lebens im Schutze Ihres Namens entgegentreten. Wir werden einer dem andern Nachsicht entgegenbringen. Wir kennen uns nun so lange, wir sind fast Verwandte, Sie werden mich nicht unglücklich machen wollen.«
Der Präsident fiel der reichen Erbin zu Füßen; er zitterte vor Glück und Bangigkeit. »Ich bin Ihr Sklave!« sagte er.
»Wenn Sie die Quittung haben, Monsieur le Président«, fuhr sie mit einem kalten Blick fort, »so bringen Sie sie mit allen Schuldtiteln meinem Cousin Grandet und übergeben Sie ihm diesen Brief. Bei Ihrer Rückkehr werde ich mein Wort einlösen.«
Der Präsident begriff, ja er begriff, daß er den Besitz Mademoiselle Grandets einer enttäuschten Liebe verdanke; daher beeilte er sich, die ihm gegebenen Befehle mit aller Eile auszuführen, damit nicht etwa noch eine Versöhnung zwischen den beiden Liebenden stattfinden könne.
Als Monsieur de Bonfons fort war, sank Eugenie in einen Sessel und zerfloß in Tränen. Nun war es vollbracht. Alles war zu Ende.
Der Präsident stieg in die Post und traf am andern Abend in Paris ein. Am folgenden Morgen ging er zu des Grassins. Der Beamte berief die Gläubiger in das Büro des Notars, bei dem die Schuldverschreibungen deponiert waren. Obwohl es Gläubiger waren, muß man ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sie kamen alle pünktlich.
Dort also bezahlte ihnen der Präsident de Bonfons im Namen von Mademoiselle Grandet die ganze Schuld – Kapital und Zinsen. Die Begleichung auch der Zinsen war für die Pariser Handelswelt ein ganz unerhörtes Ereignis.
Nachdem die Quittung ausgefertigt war und des Grassins für seine Mühen die Summe von fünfzigtausend Francs erhalten hatte, die Eugenie ihm bewilligt hatte, begab sich der Präsident in das Palais d'Aubrion und traf dort: Charles, gerade als er nach einer ernsten Unterredung mit seinem Schwiegervater seine Gemächer wieder betrat. Der alte Marquis hatte ihm soeben erklärt, daß seine Tochter ihm nur dann angehören könne, wenn alle Gläubiger Guillaume Grandets bezahlt worden wären.
Der Präsident übergab zunächst folgenden
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