Eugénie Grandet (German Edition)
planmäßig verdaut. Niemand, der ihm auf der Straße begegnete, konnte vermeiden, von Bewunderung, Ehrfurcht und Grauen erfaßt zu werden. Hatte denn nicht ein jeder in Saumur den zerreißenden Griff seiner stählernen Klauen zu fühlen bekommen? Diesem hatte Meister Cruchot das nötige Geld zum Ankauf einer Domäne verschafft, aber zu elf Prozent; jenem hatte Monsieur des Grassins Wechsel diskontiert, aber mit einem ungeheuren Vorabzug der Zinsen. Es vergingen wenige Tage, ohne daß der Name Grandets genannt wurde, sei es nun auf dem Markt oder während des abendlichen Stadtklatsches. Manchem Bürger von Saumur war das Vermögen des alten Weinbauers Gegenstand patriotischen Ehrgeizes, und mehr als ein Kaufmann, mehr als ein Gastwirt sagte zu einem gelegentlich Durchreisenden mit großer Befriedigung: ›Monsieur, wir haben hier so zwei bis drei Millionärshäuser; was aber Monsieur Grandet anbetrifft, so kennt er selber nicht einmal den Umfang seines Vermögens‹.
Im Jahre 1816 schätzten die gewiegtesten Kalkulatoren Saumurs den Grundbesitz des Biedermanns auf etwa vier Millionen. Da er nun von 1793 bis 1817 als Durchschnittssumme jährlich hunderttausend Francs Bargewinn aus seinen Besitzungen ziehen mußte, so war es wahrscheinlich, daß er an Kapital eine fast ebenso große Summe besaß, wie seine Liegenschaften sie repräsentierten. Und wenn man beim Bostonspiel oder bei einem Gespräch über die Weingüter auf Monsieur Grandet zu sprechen kam, so sagten die würdigen Leute: ›Vater Grandet?... Ja, Vater Grandet dürfte gegen fünf bis sechs Millionen haben.‹ ›Da sind Sie klüger, als ich es bin; ich habe niemals das Gesamtkapital überblicken können‹, erwiderte Monsieur Cruchot oder Monsieur des Grassins, wenn sie diese Äußerung vernahmen.
Sprach gelegentlich ein Pariser von Rothschild oder von Laffite, so fragten die Leute von Saumur, ob diese ebenso reich seien wie Monsieur Grandet. Versicherte ihnen dann geringschätzig lächelnd der Pariser, daß dem wohl so sein dürfte, so blickten sie einander mit ungläubigem Kopfschütteln an.
Sein großes Vermögen bedeckte alle Handlungen dieses Mannes mit einem goldenen Mantel. Hatten früher gewisse Eigenheiten in seiner Lebensführung Gelächter und Spott erweckt, so waren Gelächter und Spott versiegt. Bei allem, selbst dem nebensächlichsten Tun, hatte Grandet die Autorität für sich. Sein Wort, seine Kleidung, seine Gesten, sein Augenblinzeln war Gesetz im Lande – in diesem Städtchen, wo ein jeder, nachdem er ihn studiert hatte, wie der Naturforscher die Äußerungen des Instinkts bei den Tieren studiert, die tiefgründige und stumme Weisheit selbst seiner primitivsten Handlungen zu erkennen Gelegenheit gehabt hatte.
›Der Winter wird rauh werden‹, sagte man, ›Vater Grandet hat seine Pelzhandschuhe angezogen; man muß Weinlese halten.‹ ›Der Vater Grandet kauft viel Lattenholz, es wird heuer eine gute Ernte geben.‹
Grandet kaufte niemals Fleisch oder Brot. Seine Pächter brachten ihm jede Woche einen ausreichenden Vorrat an Kapaunen, Hühnern, Eiern, Butter und Getreide. Er besaß eine Mühle, deren Mieter außer Zahlung der Pacht die Verpflichtung hatte, eine bestimmte Menge Korn abzuholen und als Kleie und Mehl zurückzuliefern. Die Große Nanon, Grandets einzige und schon bejahrte Magd, buk selbst alle Sonnabende das für den Hausgebrauch nötige Brot. Grandet hatte sich auch mit seinen andern Pächtern, den Gemüsegärtnern, ins Einvernehmen gesetzt; sie mußten ihn mit Gemüse versorgen. An Obst aber erntete er selbst solche Mengen, daß er beträchtliche Mengen auf dem Markt zum Verkauf brachte. Sein Brennholz wurde von seinen Hecken geschnitten oder von den morschen, halbvermoderten Zäunen, die er aus seinen Feldrainen riß, genommen. Seine Pächter karrten es ihm zum Gebrauch zerkleinert nach Hause, stapelten es aus Unterwürfigkeit in seinem Holzschuppen auf und empfingen sein Dankeswort. Die einzigen seiner Ausgaben, die man kannte, waren die Anschaffung des geweihten Brotes, der Garderobe von Frau und Tochter und die Bezahlung ihrer Kirchenstühle, das Gehalt der Großen Nanon und das Verzinnen ihrer Kochtöpfe; ferner die Zahlung der Steuern, Ausgaben für Beleuchtung, für notwendige Baureparaturen, für die Nutzbarmachung seiner Ländereien. Er hatte unlängst sechshundert Morgen Waldgrund gekauft, den er vom Forstwächter eines Nachbarn bewachen ließ; dem Mann wurde dafür eine kleine Entschädigung versprochen.
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