Eugénie Grandet (German Edition)
kleinliche Gemeinheit, die so großen Interessen nachschlich – das arglose junge Mädchen, das man wie einen seltenen Vogel umlauerte und mit hinterlistigen Freundschaftsbeweisen belästigte –, alles trug dazu bei, diese abendliche Szene tragikomisch zu gestalten. Und ist dies nicht ein Spiel, das an allen Orten und zu allen Zeiten vor sich geht – nur daß es sich hier auf eine einfache Szenerie und einfache Ausdrucksmittel beschränkte?
Die Gestalt Grandets, der die falsche Anhänglichkeit der beiden Familien benutzte, um daraus ungeheuren Vorteil zu ziehen, beherrschte das Drama und beleuchtete es. Ist er, der Mammon, nicht heute der einzige Gott, an den man glaubt? Spricht seine souveräne Macht nicht deutlich aus so manchem Antlitz?
Hier im Hause Grandet nahmen die stillen Freuden des Lebens nur ein bescheidenes Plätzchen ein; sie belebten drei reine Herzen: die Herzen Nanons, Eugénies und ihrer Mutter. Übrigens – wie viel Unwissenheit in ihrer Naivität! Eugénie und ihre Mutter wußten nichts vom Vermögen Grandets; sie betrachteten die Dinge des Lebens nur im Licht ihrer eigenen blassen Gedanken und hatten für das Geld weder Verehrung noch Verachtung, da sie gewohnt waren, es entbehren zu können. Ihr starkes Empfinden, das ohne ihr Wissen verletzt wurde, ihre zurückgezogene Lebensweise bildeten eine seltsame Ausnahme in diesem Kreis von Leuten, deren ganzes Dasein nur materiellen Interessen diente. Abscheuliche Eigenschaft des Menschen! Es kann für ihn kein Glück geben, das nicht irgendeiner Unkenntnis entspringt.
Gerade als Madame Grandet einen Lottogewinn von sechzehn Sous einstreichen konnte, der ansehnlichste Betrag, der jemals in diesem Raum beim Spiel ausgezahlt worden war, und die Große Nanon mit breitem Lachen zusah, wie ihre Herrin diese beträchtliche Summe zusammenraffte, erdröhnte ein Schlag des Türklopfers, und zwar mit so gewaltigem Lärm, daß die Frauen erschreckt von den Sitzen sprangen.
»So laut klopft kein Saumuraner«, sagte der Notar.
»Wie kann man nur so klopfen«, verwunderte sich Nanon; »will man uns die Tür einschlagen?«
»Wer zum Teufel kann das sein?« rief Grandet.
Nanon ergriff eine der beiden Kerzen und ging, begleitet von Grandet, hinaus.
»Grandet, Grandet!« rief seine Frau und eilte, von unbestimmter Furche* [Furcht] erfaßt, an die Saaltür.
Alle Spieler sahen einander an.
»Wenn wir mal nachsähen?« sagte Monsieur des Grassins. »Der Schlag war zweifellos böswillig.« Er trat zur Tür und vermochte im Dunkel des Ganges die Gestalt eines jungen Mannes zu erkennen, dem der Postträger, beladen mit zwei mächtigen Koffern und mehreren Reisetaschen, folgte.
Grandet wandte sich brüsk um und sagte: »Madame Grandet, gehen Sie zu Ihrem Lotto. Ich werde mich mit Monsieur schon allein verständigen.«
Dann zog er die Saaltür heftig hinter sich zu, und die Spieler nahmen ihre Plätze wieder ein, ohne jedoch das Spiel fortzusetzen.
»Ist es jemand aus Saumur, Monsieur des Grassins?« fragte dessen Gattin.
»Nein, es ist ein Fremder.«
»Er kann nur aus Paris kommen.«
»In der Tat«, sagte der Notar, seine zweidaumendicke Uhr ziehend, die klobig war wie eine holländische Barke, »es ist neun Uhr. Pest! Der Eilwagen des Grand Bureau verspätet sich nie.«
»Und ist der Herr jung?« fragte der Abbé Cruchot.
»Ja«, erwiderte Monsieur des Grassins; »er hat ein paar Koffer bei sich, die mindestens dreihundert Kilo wiegen.«
»Nanon kommt gar nicht wieder«, bemerkte Eugénie.
»Das kann nur ein Verwandter von Ihnen sein«, sagte der Präsident.
»Spielen wir weiter«, mahnte Madame Grandet leise. »An Monsieur Grandets Stimme habe ich erkannt, daß er selbst bestürzt ist; er wird ärgerlich werden, wenn er sieht, daß wir uns mit seinen Angelegenheiten befassen.«
»Mademoiselle«, wandte sich Adolphe zu seiner Nachbarin, »es ist sicherlich Ihr Cousin Grandet, ein recht hübscher junger Mann, dem ich auf dem Ball des Monsieur de Nucingen begegnet bin.«
Adolphe sprach nicht weiter; seine Mutter hatte ihn auf den Fuß getreten. Dann verlangte sie mit lauter Stimme zwei Sous Spieleinsatz von ihm und flüsterte ihm darauf ins Ohr: »Wirst du den Mund halten, du Dummkopf!«
In diesem Augenblick trat Monsieur Grandet wieder ein – ohne die Große Nanon, deren Schritte man neben den wuchtigen Tritten des Postträgers auf der Treppe knarren hörte. In Grandets Begleitung befand sich der fremde Reisende, der nun schon geraume Zeit die
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