Eugénie Grandet (German Edition)
Gesellschaftsanzüge und die allerfeinste Leibwäsche. Er nahm sein goldenes Reisenecessaire mit; es war ein Geschenk seiner verstorbenen Mutter. Er nahm alle einem Stutzer unentbehrlichen Kleinigkeiten mit, darunter ein entzückendes Schreibzeug, das ihm die – für ihn wenigstens – liebenswürdigste der Frauen geschenkt hatte, die er Annette nannte und die sich gegenwärtig mit ihrem Gatten auf einer langweiligen Reise durch Schottland befand, einer Reise, die der Gemahl infolge einiger Verdachtsmomente eingeleitet hatte. Und er hatte sehr schönes Briefpapier mitgenommen, um seiner Annette alle vierzehn Tage einen Brief zu schreiben. Kurzum, es war eine ganze Schiffsladung unnützer Pariser Sächelchen – eine Sammlung; so vollständig, als es ihm nur möglich war; angefangen von der zur Einleitung eines Duells unentbehrlichen Reitpeitsche bis zu den schön ziselierten Pistolen, die dasselbe abschließen, enthielt sie alles Handwerkszeug, dessen ein junger Müßiggänger bedarf, um den Acker des Lebens zu bebauen.
Da sein Vater ihn gebeten hatte, allein und bescheiden zu reisen, hatte er einen eigens für ihn reservierten Eilwagen benutzt, wodurch es ihm möglich war, den für die spätere Reise zu seiner Annette bestellten eigenen Reisewagen vorläufig unberührt zu lassen; er wollte mit dieser Dame im kommenden Juni in Baden-Baden zusammentreffen.
Charles zählte darauf, bei seinem Onkel etwa hundert Personen anzutreffen; er gedachte in den Waldungen des Onkels Treibjagden zu veranstalten und überhaupt ein Herrenleben zu führen. Er hatte nicht erwartet, den Onkel in Saumur anzutreffen, wo er nur nach ihm gefragt hatte, um den Weg nach Froidfond zu erkunden; da er ihn nun aber in der Stadt wußte, erwartete er, ihn in einem Palast zu sehen. Um sich also bei seinem Onkel – sei es in Saumur, sei es in Froidfond – passend einzuführen, hatte er die koketteste Reisekleidung angelegt – nein, die auserlesenste, die ›anbetungswürdigstes‹, um das Wort zu gebrauchen, das zu jener Zeit die äußerste Vollkommenheit einer Sache oder eines Menschen ausdrückte.
In Tours hatte ein Coiffeur sein schönes kastanienbraunes Haar frisch gelockt; er hatte die Wäsche gewechselt und eine schwarzseidene Krawatte angelegt, die sich mit einem runden Kragen verband, um sein zartes und strahlendes Gesicht angenehm zu umrahmen. Ein halboffener Reiseüberrock umschnürte seine Taille und ließ eine Kaschmirweste sehen, unter der eine andere, weiße Weste hervorblinkte. Seine Uhr war mit einer goldenen Kette an einem der Westenknöpfe befestigt. Seine grauen Hosen waren an den Seiten geknöpft, und schwarze Seidenstickereien verschönten die Nähte. Er handhabte anmutig einen Spazierstock, dessen goldene Krücke der Frische seiner grauen Handschuhe keinen Schaden tat. Seine Reisemütze endlich war von auserlesenem Geschmack.
Ein Pariser, nur ein Pariser aus den allerersten Kreisen konnte sich so herausstaffieren, ohne lächerlich zu erscheinen und allen diesen Nichtigkeiten eine alberne Einheitlichkeit zu geben. Im übrigen machte Charles einen selbstbewußten Eindruck, den Eindruck eines jungen Mannes, der schöne Pistolen, eine sichere Hand und – eine Annette besitzt.
Wer also die Überraschung sowohl der Saumuraner als des jungen Parisers ganz verstehen, das grelle Licht, das die übertriebene Eleganz des Fremden auf die grauen Schatten des Saales und der Anwesenden warf, recht deutlich sehen will, der versuche einmal, sich die Cruchots vorzustellen. Alle drei schnupften Tabak, und es fiel ihnen schon seit langem nicht mehr ein, die Nasentropfen abzuwischen oder die schwarzen Krümelchen zu entfernen, mit denen der Brustteil ihrer schmutziggrauen Hemden und ihre zerdrückten Kragen übersät waren. Ihre dünnen Krawatten umwanden ihren Hals wie Stricke. Ihr ungeheurer Wäschevorrat, der ihnen gestattete, nur zweimal im Jahre waschen zu lassen, hatte zur Folge, daß selbst die saubere Wäsche durch langes Lagern alt und grau aussah. Sie hatten alle drei einen banalen Geschmack und viel Greisenhaftes. Ihre Gesichter waren ebenso verfleckt wie ihre verschnupften Gewänder, ebenso verdrückt wie ihre Hosen; sie erschienen zusammengeschrumpft und fratzenhaft. Die allgemeine Vernachlässigung der anderen Kleidungsstücke, alle waren abgetragen und paßten nicht zueinander, wie das in der Provinz so ist, wo man unmerklich dahin gelangt, daß die einen sich nicht mehr für die anderen kleiden und auf den Preis eines Paars
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