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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Gemüter so erregt und neugierig gestimmt hatte, daß man seine unerwartete Ankunft in diesem Hause und sein Eindringen in diesen Kreis mit dem plötzlichen Sturz einer Schnecke in einen Ameisenhaufen vergleichen könnte oder mit dem Herabfallen eines bunten Pfaus in irgendeinen dunklen Hofwinkel.
    »Setzen Sie sich ans Feuer«, sagte Grandet zu ihm.
    Ehe er sich niederließ, grüßte der junge Fremde sehr anmutig die Versammelten. Die Herren erhoben sich, um mit einer höflichen Verbeugung zu antworten, und die Damen neigten zeremoniös den Kopf.
    »Es ist Ihnen gewiß kalt, Monsieur?« fragte Madame Grandet. »Kommen Sie vielleicht von...?«
    »Sieh da, diese Frauen!« sagte der alte Weinbauer, die Lektüre eines Briefes unterbrechend. »Laßt doch Monsieur sich erst erholen.«
    »Aber, Vater, Monsieur braucht vielleicht dies oder jenes«, sagte Eugénie.
    »Er hat ja einen Mund«, erwiderte der Weinbauer streng.
    Der Unbekannte war der einzige, den diese Szene verblüffte. Die andern waren mit dem despotischen Wesen des Biedermanns vertraut.
    Als die beiden Fragen nun ihre Antworten erhalten hatten, stand der Unbekannte auf, stellte sich mit dem Rücken gegen das Feuer, hob einen Fuß, um die betreffende Schuhsohle an der Wärme des Feuers zu trocknen, und sagte zu Eugénie: »Ich danke Ihnen, liebe Cousine; ich habe in Tours gespeist. Und«, fügte er mit einem Blick auf Grandet hinzu, »ich habe gar nichts nötig; ich bin sogar kaum ein wenig müde.«
    »Kommen Monsieur aus Paris?« fragte Madame des Grassins.
    Als Monsieur Charles – so nannte sich der Sohn von Monsieur Grandet in Paris – sich angeredet hörte, ergriff er ein Lorgnon, das ihm an einem Kettchen vom Halse hing, hielt es ans rechte Auge, um zu erforschen, was auf und um den Tisch zu sehen sei, betrachtete Madame des Grassins lange und impertinent und sagte endlich: »Jawohl, Madame. – Sie spielen Lotto, liebe Tante?« fügte er hinzu. »Ich bitte Sie dringend, sich nicht stören zu lassen; es ist ein unterhaltendes Spiel – man sollte es nicht abbrechen.«
    ›Oh, ich wußte ja, daß es der Cousin sei‹, dachte Madame des Grassins, indem sie ihm verstohlene Blicke zuwarf.
    »Siebenundvierzig!« rief der alte Abbé, »setzen Sie, Madame des Grassins; es ist doch wohl Ihre Nummer?«
    Monsieur des Grassins legte ein Glasplättchen auf die Karte seiner Frau, die, von traurigen Vorahnungen ergriffen, abwechselnd auf den Cousin aus Paris und Eugénie starrte, ohne an das Lotto zu denken. Die junge Erbin warf ab und zu einen heimlichen Blick auf ihren Cousin, und die Frau des Bankiers konnte in diesen Blicken bald ein Wachsen an Bewunderung und Neugier wahrnehmen.
    Monsieur Charles Grandet, ein hübscher junger Mann von zweiundzwanzig Jahren, bot einen seltsamen Kontrast mit den guten Provinzlern, die seine aristokratischen Manieren empörten und die sein Benehmen eifrig studierten, um sich insgeheim darüber lustig zu machen.
    Das bedarf einer Erklärung. Mit zweiundzwanzig Jahren sind die jungen Leute ihrer Kindheit noch nahe genug, um Gefallen an Kindereien zu finden, und gewiß trifft man unter hundert von ihnen neunundneunzig, die sich ebenso betragen haben würden, wie Charles Grandet sich benahm. Einige Tage vor diesem Abend hatte sein Vater ihn veranlaßt, für ein paar Monate zu seinem Bruder nach Saumur zu fahren. Vielleicht dachte Monsieur Grandet in Paris an Eugénie. Charles, der zum erstenmal in die Provinz geraten sollte, kam auf den Einfall, dort mit aller Überlegenheit eines jungen Mannes, der mit der Mode geht, aufzutreten. Er wollte durch seinen Luxus verblüffen, Aufsehen erregen und das Raffinement des Pariser Lebens veranschaulichen. Kurz, er wollte in Saumur noch mehr als in Paris seine Zeit darauf verwenden, sich die Nägel zu pflegen; in der auserlesensten Aufmachung aufzutreten, die ein eleganter junger Mann nur selten zugunsten einer nicht der Grazie entbehrenden Nonchalance aufgibt.
    Charles stattete sich also mit dem entzückendsten Jagdkostüm, der entzückendsten Jagdflinte, dem entzückendsten Hirschfänger von Paris aus. Er versah sich mit einer Auswahl der interessantesten Westen: da waren graue, weiße, schwarze, goldkäferfarbene und mit Flitter benähte Westen, bunte und doppelreihige Westen, Westen mit spitzem Ausschnitt und solche mit schalartigem Umschlag, hochgeschlossene Westen und Westen mit Goldknöpfen. Er führte alle damals beliebten Varietäten von Kragen und Krawatten mit sich, zwei

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