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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Handschuhe achten, stimmte mit der Gleichgültigkeit der Cruchots überein. Der Abscheu vor der Mode war der einzige Punkt, in dem die Grassinisten und die Cruchotaner einander vollkommen verstanden.
    Führte der Pariser sein Glas ans Auge, um die einzelnen Einrichtungsgegenstände des Saales in Augenschein zu nehmen: die Balken der Decke, die braune Holzverkleidung der Wände oder die Punkte, welche die Fliegen darauf hinterlassen hatten und deren Zahl sicherlich ausgereicht hätte, um die ›Encyclopédie méthodique‹ und den ›Moniteur‹ zu punktieren – sogleich erhoben die Lottospieler die Nase und betrachteten ihn ihrerseits mit ebensoviel Neugier, als ob sie eine Giraffe vor sich hätten.
    Auch Monsieur des Grassins und sein Sohn, denen ein Modegeck nichts Unbekanntes war, beteiligten sich am Staunen der andern, sei es, daß die allgemeine Stimmung auch sie in ihren Bann zog, sei es, daß es ihnen wohltat, den andern durch bedeutsame Blicke zu verstehen zu geben: ›So sind sie in Paris.‹
    Übrigens konnten sich alle der Betrachtung Charles' hingeben, ohne Besorgnis, dem Herrn des Hauses zu mißfallen. Grandet war in die Lektüre eines langen Briefes vertieft, zu welchem Zweck er sich rücksichtslos der einzigen Kerze bemächtigt hatte.
    Eugénie, die noch nie im Leben einen so reizenden Menschen, eine so prächtige Kleidung gesehen hatte, glaubte in ihrem Cousin ein höheres Wesen zu erblicken. Sie sog mit Entzücken den Duft ein, der seinen lieblich gelockten Haaren entströmte. Sie hätte gar zu gern das seidenweiche Leder seiner feinen Handschuhe berührt. Sie beneidete Charles um seine kleinen Hände, um die Frische und Zartheit seines Teints. Es war ganz selbstverständlich, daß der junge Élégant auf Eugénies schlichtes Gemüt einen so tiefen Eindruck machte. Ihr Leben hatte sich hier unter den dunklen Deckenbalken abgespielt, im ewigen Einerlei der Arbeit. Tagein, tagaus stopfte sie Strümpfe, flickte sie die Anzüge ihres Vaters und hatte als einzige Ablenkung die Aussicht auf die stumme Straße, ohne doch in der Stunde mehr als einen Vorübergehenden zu erblicken. Der Anblick ihres Cousins erweckte in ihr etwa dieselben Entzückungen, die einem jungen Mann die traumhaften Frauengestalten Westalls bereiten, die so fein gestochen sind, daß man fürchtet, ein starker Atemzug könnte die himmlischen Wesen fortblasen.
    Charles zog nun ein Taschentuch hervor, das die vornehme Dame, die jetzt in Schottland reiste, ihm gestickt hatte. Als Eugénie diese hübsche Arbeit gewahrte, die Annette in Stunden der Liebe angefertigt hatte, blickte sie voll Aufmerksamkeit zum Cousin auf, um zu sehen, ob er sich wirklich dieses Tuches profanerweise zu bedienen gedenke. Die Manieren Charles', seine Gesten, die Art, wie er das Lorgnon handhabte, seine erkünstelte Dreistigkeit, seine offensichtliche Verachtung für das Kästchen, das der Erbin so ungeheure Freude bereitet hatte und das er wohl wertlos oder geschmacklos fand, kurz alles, was die Cruchots und die des Grassins empörte, gefiel ihr so gut, daß sie vor dem Einschlafen noch lange von diesem Phönix aller Cousins träumen mußte.
    Das Spiel ging sehr langsam vonstatten, und bald wurde es ganz unterbrochen. Die Große Nanon trat ein und sagte laut: »Madame Grandet, ich brauche Wäsche, um Monsieur das Bett zu richten.«
    Madame Grandet erhob sich und folgte Nanon hinaus. Nun sagte Madame des Grassins mit leiser Stimme: »Behalten wir unsere Sous und hören wir auf zu spielen.«
    Jeder nahm aus der alten zerbrochenen Untertasse seine zwei Sous wieder heraus. Dann erhob sich die ganze Gesellschaft und machte eine Viertelschwenkung zum Feuer.
    »Sie haben aufgehört?« sagte Grandet, ohne von seinem Brief aufzublicken.
    »Ja, ja«, erwiderte Madame des Grassins, indem sie neben Charles Platz nahm.
    In Eugénie hatte dies erste Zuneigungsgefühl einen Gedanken geweckt, den wohl alle jungen Mädchen im gleichen Fall haben. Sie verließ den Saal, um ihrer Mutter und Nanon zu helfen. Wäre sie jetzt von einem eifrigen Beichtvater ins Gebet genommen worden, so hätte sie zweifellos zugegeben, daß es ihr weder um ihre Mutter noch um Nanon zu tun sei, daß sie vielmehr ein quälendes Verlangen habe, das Zimmer des Cousins in Augenschein zu nehmen, sich für den Cousin zu betätigen. Sie wollte Ordnung schaffen, nachsehen, ob nichts vergessen sei, kurzum, das Zimmer so nett und sauber wie möglich herrichten. Schon hielt Eugénie sich allein für befähigt,

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