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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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den Cousin heimlich fortschaffen?‹ fragte sie sich und öffnete die Tür – vorsichtig, damit sie nicht kreische, jedoch weit genug, um sehen zu können, was sich draußen im Gang ereignete.
    Plötzlich begegnete ihr Blick dem Auge des Vaters, und trotzdem es nicht zu ihr hersah, erstarrte sie vor Schreck und Angst. Der Biedermann und Nanon waren von Schulter zu Schulter durch einen dicken Knüppel miteinander verbunden, an dessen Mitte an einem Seil ein kleines Fäßchen befestigt war —- ein Fäßchen, wie Vater Grandet sie in müßigen Stunden zu seinem Vergnügen in seinem Backhaus anzufertigen pflegte.
    »Heilige Jungfrau! Monsieur, ist das ein Gewicht!« sagte Nanon mit leiser Stimme.
    »Wie schade, daß es nichts als Sousstücke sind!« antwortete der Alte. »Nimm dich in acht, daß du nicht an den Leuchter stößt.«
    Diese Szene wurde von einem einzigen Lichte beleuchtet, das auf dem Treppenabsatz stand.
    »Cornoiller«, sagte Grandet zu seinem Wächter in partibus, »hast du deine Pistolen mitgenommen?«
    »Nein, Monsieur, Verzeihung! Was kann denn für die Sousstücke zu fürchten sein?«
    »Oh! – nichts!« sagte Vater Grandet.
    »Übrigens werden wir schnell vorankommen«, fuhr der Wächter fort, »die Pächter haben die besten Pferde eingespannt.«
    »Schön, schön. Du hast ihnen nicht gesagt, wohin ich fahre?«
    »Ich wußte es selber nicht.«
    »Gut. Der Wagen hält hoffentlich etwas aus?«
    »Aushalten, Monsieur? Ho, ja! Der trägt seine dreitausend. Was wiegt es denn, Ihr drolliges Fäßchen?«
    »Na«, sagte Nanon, »ich sollt das ja wohl wissen! 's wird schon so seine achtzehnhundert haben.«
    »Wirst du still sein, Nanon! – Du sagst also meiner Frau, ich sei über Land gefahren. Ich werde zum Mittagessen hier sein. – Fahr tüchtig zu, Cornoiller; ich muß vor neun Uhr in Angers sein.«
    Der Wagen fuhr davon. Nanon verriegelte das große Tor, ließ den Kettenhund los, legte sich mit schmerzender Schulter schlafen, und niemand im Städtchen hatte von der Abreise Grandets oder von seinen Absichten eine Ahnung. Der Biedermann war ein Meister an Vorsicht. Niemals sah jemand einen Sou in diesem goldgefüllten Hause.
    Der Weinbauer, der am Morgen am Hafen davon hatte reden gehört, daß infolge der in Nantes vorgenommenen umfangreichen Ausrüstungen der Wert des Goldes um das Doppelte gestiegen sei, und daß in Angers Spekulanten eingetroffen seien, um Gold zu kaufen, erreichte es – indem er einfach von seinen Pächtern ein Gespann entlieh –, daß er sein Gold dort verkaufen und nun die Summe heimbringen konnte, die zum Ankauf der Rentenpapiere unter Zuschlag des Agio notwendig war. ›Mein Vater fährt fort‹, sagte sich Eugénie, die droben an der Treppe alles gehört hatte.
    Im Hause herrschte wieder Schweigen, und das ferne Rollen des Wagens, das nach und nach erstarb, weckte kein Echo mehr im schlafenden Saumur. In diesem Augenblick vernahm Eugénie – früher noch mit dem Herzen als mit dem Ohr – einen Klagelaut, der aus dem Zimmer des Cousins kam. Ein Lichtstreifen, fein wie eine Säbelklinge, drang durch die Türritze und spaltete das Treppengeländer in zwei Teile.
    »Er leidet«, flüsterte sie, zwei Stufen hinaufsteigend.
    Ein zweiter Seufzer lockte sie bis an die Türschwelle droben. Die Tür war angelehnt; sie schob sie auf. Charles schlief; sein Kopf hing seitwärts über die Lehne des Sessels herab; die Hand, der die Feder entfallen war, berührte fast den Boden. Das fast röchelnde Atmen des jungen Mannes, eine Folge seiner schlechten Lage im Stuhl, erschreckte Eugénie; sie trat ein.
    ›Da kann er allerdings müde sein‹, sagte sie sich, als sie etwa ein Dutzend versiegelter Briefe liegen sah. Sie las die Adressen: An Messieurs Farry, Breilmann & Co., Wagenbauer. An Monsieur Buisson, Schneider,...
    ›Er hat gewiß alle seine Angelegenheiten geordnet, um bald Frankreich verlassen zu können‹, dachte sie.
    Ihr Blick fiel auf zwei offene Briefe. Sie las die Anfangsworte des einen: ›Meine liebe Annette...‹ Ein Schwindel erfaßte sie. Ihr Herz hämmerte, ihre Füße klebten am Boden.
    ›Seine liebe Annette! Er liebt – er wird geliebt! Keine Hoffnung mehr!... Was sagt er ihr?‹
    Diese Gedanken gingen ihr durch Herz und Hirn. Überall las sie die Worte, sogar in Flammenschrift auf dem Fußboden.
    ›Schon ihm entsagen! – Nein, ich werde den Brief nicht lesen. Ich muß wieder gehen... Wenn ich ihn nun dennoch lesen würde?‹
    Sie blickte auf Charles, hob sanft

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