Eulenflucht - Kay, E: Eulenflucht
Brücke die Flut tobte. Ich wollte Konrad anschreien, damit er zur Vernunft kam, mich wehren und retten, doch ich hatte keine Chance. Seine Arme fixierten mich so fest, sie hätten einer Daumenschraube Konkurrenz machen können. Bibbernd klapperten meine Zähne aufeinander, in den Händen und an meiner Nase breitete sich ein taubes Gefühl aus. Konrad schleppte mich die Holztreppen am Ende der Brücke hinunter. Normalerweise führten sie zum Strand, doch jetzt war dieserkomplett mit Meerwasser überflutet. Ich suchte fieberhaft nach einer logischen Erklärung für Konrads Verhalten und Aussehen. OK, das Aussehen strich ich wieder. Ich war mir nach wie vor sicher, sein Gebaren konnte nur durch ein Trauma erklärt werden. Er hatte Vios Tod noch nicht verarbeitet oder akzeptiert.
»Wir können doch über alles reden«, setzte ich hilflos an. »Es wird sich bestimmt eine Lösung für dich finden.«
»Eine Lösung?«, knurrte er. »Oh ja, die Lösung bist du. Du wirst genauso sterben wie sie. Ich muss dich ertränken, nur so kann ich von dieser Pein halbwegs erlöst werden. Verstehst du?«
»Aber warum … wieso …?«
Konrad fletschte die Zähne, verzog den Mund und schleuderte mich mit einem lauten Knurren ins Hochwasser. Laut platschend, plumpste ich in die eisigen salzigen Fluten. Konrad stand immer noch auf der untersten Holzstufe, als ich auftauchte, verzweifelt schaute ich zu ihm hoch, mein Herzschlag setzte durch die plötzliche Kälte für einen Moment aus. Ich sträubte mich innerlich zu glauben, was vor meinen ungläubigen Augen nun Gestalt annahm. Er war kein Mensch, vielmehr war er eine Kreatur. Nein, er war DIE Kreatur. Ich erkannte den Konrad aus meinen Träumen, den Anführer des Wolfsrudels! Der Sturm schwoll weiter an, die Brandung verstärkte sich. Er hatte den Kopf leicht in den Nacken gelegt, die Augen hielt er geschlossen. Er schien sich auf den nächsten Akt des Schauspiels vorzubereiten. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich auf meinen Selbsterhaltungstrieb gehört hätte und einfach weggeschwommen wäre, aber eine unsichtbare Macht hielt mich an Ort und Stelle. Fast so, als gäbe es keine Gefahr für mich. Stattdessen kämpften meine gefühlslosen Glieder gegen den mich umgebenden Sog an, um nicht in den Wellen unterzugehen.
»Ich weiß, was du bist!«, schrie ich ihm entgegen.
Konrad brachte seinen Kopf langsam wieder nach vorne und öffnete die Augen.
»Tatsächlich?«, fragte er und lächelte kalt.
»Ja!«
»Da bin ich aber gespannt.« Der Spott in seiner Stimme war unüberhörbar.
Seine Überheblichkeit entfachte eine Woge des Zorns in mir.»Ich hab dich gesehen… in meinem Traum. Dich und dein Rudel… dein Wolfsrudel. Du bist der Anführer!«, schrie ich gegen die aufschäumende Gischt.
»Ein Wolf«, höhnisch zog Konrad seine buschigen Augenbrauen hoch. »Und wer sollte dir das glauben?«
»Niemand. Ich habe nicht vor es irgendwem zu erzählen.«
Es trat Schweigen ein. Seine Augen taxierten mich wie eine Beute und dann durchschnitt Konrads bebendes Gelächter den tobenden Sturm, bevor er sich mit einem grollenden Brüllen auf mich stürzte. Er prallte direkt auf mir auf und drückte mich unter das schwarze Wasser. Ich kämpfte mich wieder an die Oberfläche und sog gierig den Sauerstoff ein. Angstvoll blickte ich mich um. Wo war er? Dann erkannte ich Konrads Umrisse einige Meter vor mir und versuchte ihm zu entkommen, indem ich in die andere Richtung paddelte. Er folgte mir, ohne den Abstand zu verringern. Ich kämpfte mich durch die tosende See, die mir immer höher erscheinenden Wellenkämme. Arme und Beine spürte ich kaum noch, während ich beinahe kraftlos über die mannshohen Wellen trieb. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich war hinaus auf das offene Meer geschwommen und dies gehörte augenscheinlich zu Konrads Plan. Erschrocken blickte ich mich um, konnte in der Finsternis nichts erkennen, aber ich wusste, er war hinter mir.
»Mae!« Es war ein Flüstern, welches über die aufgepeitschte See waberte. »Mae! Mae! Mae!« Das Wispern näherte sich, schien mich zu umkreisen. Aus allen Richtungen erklangen die Sirenenrufe, die unaufhörlich meinen Namen säuselten. Es hatte alles zu seinem Spiel gehört, seinem Plan, der nun aufging. Dies war das Ende, gleich war alles vorbei, waren meine letzten Gedanken, bevor Hände meinen Hals umfassten, zudrückten und mich in die dunkle See hinabzogen. Ich war gefangen in Neptuns absoluter Finsternis, als mir
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