Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Europa-Handbuch - Europa-Handbuch

Europa-Handbuch - Europa-Handbuch

Titel: Europa-Handbuch - Europa-Handbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Weidenfeld
Vom Netzwerk:
sind. In der Interpretationsgeschichte des Luxemburger Kompromisses gelingt es Frankreich, seine Sicht durchzusetzen, sodass danach faktisch für jedes EWG-Mitglied die Möglichkeit des Vetos besteht. Im Ministerrat bleiben daher viele Entwicklungsfäden einer dynamischen Integrationspolitik hängen. Ebenso scheitert der erste Anlauf der EWG zur Norderweiterung an der Ablehnung General de Gaulles. Erst unter seinem Nachfolger Georges Pompidou können Anfang der 1970er Jahre mit der Norderweiterung um Großbritannien, Irland und Dänemark und dem so genannten Werner-Plan für eine Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) die Weichen für eine Weiterentwicklung der Integration gestellt werden.
    Bis zu diesem Zeitpunkt stellt die europäische Integration – trotz schwieriger Lernprozesse und Krisenerfahrungen – eine beeindruckende Erfolgsgeschichte dar. Die zentralen Aufträge der Römischen Verträge (Einrichtung gemeinsamer Institutionen, Vergemeinschaftung zentraler Politikbereiche wie Landwirtschaft, friedliche Nutzung der Atomenergie, Zollunion, Freizügigkeit) werden erfüllt. Der Status quo der Integration verlangt jedoch nach Ergänzung durch weitere Maßnahmen:
    1. Die institutionelle Stagnation ruft nach der Reform einzelner Organe und nach der Einrichtung neuer Institutionen.
    2. Der Gemeinsame Markt bedarf der Vollendung und der Ergänzung durch eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik.

    3. Die ökonomischen Disparitäten innerhalb der EG zwingen zu einer gemeinsamen Regional- und Sozialpolitik.
    4. Die Umstellung der EG-Finanzierung auf Eigenmittel fordert die Kompetenzerweiterung des Europäischen Parlamentes, speziell in der Haushaltspolitik.
    5. Der gemeinsame Außenhandel und das große ökonomische Gewicht der EG verlangen nach einer gemeinsamen Außenpolitik.
    Doch die schleppende Entwicklung der Weltwirtschaft aufgrund der ersten Ölkrise macht den Europäern einen Strich durch die Rechnung. Der Druck von außen durch Inflation und Arbeitslosigkeit löst nationale Reflexe aus: Die Mitgliedstaaten suchen Sonderwege in der Wirtschaftspolitik, ihr Hang zu Wettbewerbsverzerrungen und Protektionismus wächst. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit in der Währungspolitik wird so unmöglich, und die hochgesteckten Ziele des Werner-Planes zur Errichtung einer WWU bis 1980 verlieren jede Chance auf eine Verwirklichung. Ein Ausbrechen aus dem lähmenden Gefühl der »Eurosklerose« gelingt erst, nachdem die zentralen Akteure der Integrationspolitik, Frankreich und Deutschland, sich in ihren nationalen Wirtschaftsstrategien erneut annähern. Ihre seit Mitte der 1970er Jahre durchgeführten Anstrengungen zur Inflationsbekämpfung bewirken eine Angleichung der Wirtschafts- und Währungspolitiken. Dies kommt einer deutsch-französischen Initiative von Helmut Schmidt und Valery Giscard d’Estaing zugute, die auf die Gründung eines Europäischen Währungssystems (EWS) zielt und deren Kern das Konzept eines gemeinsamen Wechselkursmechanismus ist. Am 13. März 1979 tritt das EWS rückwirkend zum 1. Januar 1979 in Kraft. Die Wechselkurse sollen zum Wohle der wirtschaftlichen Entwicklung in den EG-Staaten stabilisiert werden. Ebenso wird eine Senkung der Inflationsraten angestrebt. Das EWS legt – nach einigen Anlaufschwierigkeiten – den Grundstein für die wirtschaftliche Konvergenz der EG-Mitgliedstaaten in den 1980er Jahren. Eine nüchterne Bestandsaufnahme des europäischen Integrationsprozesses am Ende der 1970er Jahre hat sowohl Erfolge und Verdienste als auch Versäumnisse und Mängel festzuhalten:
    1. Die EG hat die in den Römischen Verträgen verankerten Grundfreiheiten nur partiell verwirklicht. Wesentliche Hindernisse für einen freien Warenverkehr sind beseitigt, ein gemeinsamer Zolltarif ist eingeführt. Zum Gemeinsamen Markt gehören auch Rechtsangleichungen zur Beseitigung von Handels- und Berufshindernissen. Trotz dieser positiven Entwicklung sind einige Zielsetzungen nicht oder nur unzureichend realisiert, Beispiele dafür sind noch vorhandene Zollformalitäten, die immer noch eingeschränkte Freizügigkeit und unterschiedliche indirekte Steuersätze.
Auch der Kapitalverkehr unterliegt noch erheblichen Einschränkungen. Diese Defizite machen die Weiterentwicklung des Gemeinsamen Marktes erforderlich.
    2. Bei aller Kritik der Einzelheiten ist festzuhalten, dass die Vergemeinschaftung zentraler politischer Bereiche vollzogen worden ist und nicht unerheblich zum wirtschaftlichen Wohlstand und

Weitere Kostenlose Bücher