Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
Bedeutung erhalten folgende Elemente der EEA:
1. Der Binnenmarkt soll bis 1992 vollendet werden. Diese Absicht wird bereits im Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes vom Juni 1985 beschrieben. Im Weißbuch werden sämtliche existierenden Hindernisse für einen wirklich freien Markt in der EG benannt und eine Gesamtstrategie zu dessen Verwirklichung vorgelegt.
2. Ein neues Beschlussverfahren wird für den Bereich des Binnenmarktes fixiert und korrigiert die Römischen Verträge. Dieses neue Verfahren sieht qualifizierte Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat vor, stärkt die Stellung des Europäischen Parlamentes, formuliert jedoch zugleich eine Fülle von Ausnahmen, bei denen die Einstimmigkeitsregel bestehen bleiben soll. Frankreich stellt fest, die Luxemburger Vereinbarung vom 27. Januar 1966 werde nicht berührt.
3. Die Regierungskonferenz setzt nicht den Weg der Schaffung neuer Organisationsformen fort. Vielmehr unternimmt man den Versuch einer Bündelung der bestehenden Organisationsvielfalt unter einem rechtlichen Dach: Die EEA führt die EPZ mit der EG zusammen. So gibt die EEA dem Verfahren der EPZ eine rechtliche Form.
4. Die EEA legt weitere Kompetenzen der Gemeinschaft in Bereichen fest, die in den Römischen Verträgen nicht oder nur am Rande erwähnt werden, z. B. in den Bereichen der Umweltpolitik, der Forschungs- und Technologiepolitik sowie der Sozialpolitik.
Im Februar 1986 wird die EEA von allen zwölf Regierungen der Mitgliedstaaten unterzeichnet. Ein letztes Dauerproblem bleibt zu lösen: die umstrittenen Gemeinschaftsfinanzen, für welche die EG-Kommission mit dem so genannten »Delors-Paket« im Februar 1987 den zentralen Vorschlag auf den Tisch legt. Die Diskussion zieht sich zäh über ein ganzes Jahr hin; sie zeigt, dass die Europäische Gemeinschaft eine Gouvernementalisierung und eine Bilateralisierung erfahren hat – die allerdings wirkungsvoll durch das gewachsene Führungspotenzial der Kommission ergänzt werden.
Große Erwartungen richten sich auf den Brüsseler Sondergipfel vom Februar 1988, der dann tatsächlich den dringend notwendigen Durchbruch bringt: Zur Finanzierung wird der Gesamtrahmen der Eigenmittel auf 1,3 Prozent des Bruttosozialproduktes der Gemeinschaft festgelegt. Ein Abführungssatz auf das Bruttosozialprodukt ergänzt die Finanzierung der Gemeinschaft als vierte Einnahmequelle. 13 Der Finanzausgleich für Großbritannien wird fortgesetzt, allerdings unter Anrechnung des Vorteils, den Großbritannien durch die Einführung der vierten Einnahmequelle hat.
Der Durchbruch des Brüsseler Gipfels bestätigt erneut elementare Erfahrungsgrundsätze der europäischen Integration: Der Methode der Paketbildung kommt eine Schlüsselfunktion zu. Jede denkbare Entscheidung über die notwendigen Reformen – beim EG-Finanzsystem, bei den Strukturfonds, dem Agrarmarkt, bei der Effektivierung des Binnenmarktes – muss Besitzstände angreifen. Es wäre wirklichkeitsfremd, eine solche Entscheidungsfähigkeit anders zu erwarten als auf der Grundlage sorgfältig geschnürter Pakete.
Mit dem Erfolg des Brüsseler Gipfels vollzieht sich ein europäischer Szenenwechsel: Skepsis und Larmoyanz werden von vorsichtig optimistischer Zukunftserwartung verdrängt. Zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der EEA am 1. Juli 1987 bestehen zunächst Zweifel an der Realisierung des Binnenmarktes. Aber der Erfolg des Brüsseler Sondergipfels vom Februar 1988 lässt die Realisierungschancen der EEA in neuem Licht erscheinen. Europa ’92 heißt das Kürzel für diesen Schub an neuer Motivation und an neuer, sensibler Aufmerksamkeit. Die sozialpsychologische Kraft dieses Themenwechsels löst jedoch zugleich Besorgnisse aus – innerhalb der Europäischen Gemeinschaftwegen der Gefährdung sozialer Besitzstände, wegen der Ängste, ob man dem Tempo des Wandels und der Verschärfung des Wettbewerbes gewachsen sei, außerhalb der Gemeinschaft wegen der Befürchtung von Wettbewerbsnachteilen und von Abschottungen durch diesen dann kräftigsten Teil des Weltmarktes. Noch vor der Vollendung des Binnenmarktes hat die Europäische Gemeinschaft allerdings zeitgleich zwei weitere historische Herausforderungen zu verarbeiten: den Umbruch im Osten und den deutschen Einigungsprozess.
14 Der weltpolitische Dualismus der Bipolaritäthatjahrzehntelang einfache Großstrukturen der internationalen Politik geschaffen. Der Übergang zur Multipolarität hat die Zahl der weltpolitischen Akteure wesentlich
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