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Europa-Handbuch - Europa-Handbuch

Europa-Handbuch - Europa-Handbuch

Titel: Europa-Handbuch - Europa-Handbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Weidenfeld
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Zusammenschluss in neuen Organisationen: der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) sowie der späteren Weiterentwicklung dieser Organisationen zur Europäischen Gemeinschaft (EG) und schließlich zur Europäischen Union (EU). Diese sollten sich zu einer Lern- und Kommunikationsgemeinschaft entwickeln, in der die Mitgliedstaaten durch den permanenten Zwang zum Dialog schnell ihre Fähigkeit zur Zusammenarbeit vergrößern konnten. 10
    Betrachtet man ihre jahrhundertelange Vorgeschichte, so kann diese historische Leistung gar nicht hoch genug bewertet werden. Natürlich wäre sie ohne die geschichtliche Sondersituation des Niedergangs der europäischen Staaten im Zweiten Weltkrieg und ihrer unmittelbar danach entstandenen Frontstellung zur Sowjetunion nur schwer vorstellbar gewesen. In dieser Lage jedoch sind es vor allem fünf Motive, welche die Europäer zum großen Experiment der Integration antreiben:
    1. Der Wunsch nach einem neuen Selbstverständnis: Nach den nationalistischen Verirrungen soll das integrierte Europa eine neue Gemeinschaftserfahrung bieten.
    2. Der Wunsch nach Sicherheit und Frieden: Das neue Europa soll eine Friedensgemeinschaft sein. Nachdem die einzelnen Nationalstaaten den Zweiten Weltkrieg nicht zu verhindern vermocht hatten, hofft man, dass ein geeintes Europa hierbei erfolgreicher sein und zugleich Schutz vor der kommunistischen Expansion gewähren werde.
    3. Der Wunsch nach Freiheit und Mobilität: Über etliche Jahre hinweg hatten die Menschen unter den kriegsbedingten nationalen Beschränkungen des Personen-, Güter- und Kapitalverkehrs gelitten. Nun setzt man große Hoffnungen in die ungehinderte, freie Bewegung von Personen, Informationen, Meinungen, Geld und Waren.
    4. Der Wunsch nach wirtschaftlichem Wohlstand: Die Integration soll Europa in eine Ära großer wirtschaftlicher Stabilität und Prosperität führen. Ein gemeinsamer Markt soll den Handel intensivieren und effizientes ökonomisches Verhalten möglich machen.

    5. Die Erwartung gemeinsamer Macht: Die neuen Maßstäbe für internationale Machtgrößen setzen nun die Supermächte USA und UdSSR. Neben ihnen nehmen sich die einzelnen europäischen Nationalstaaten zwergenhaft aus. So hoffen die Westeuropäer, durch ihre politische Einigung vieles von der Macht gemeinsam zurückzuerlangen, die sie als einzelne Staaten verloren hatten.
    Diese gemeinsamen Ziele bedingen jedoch von Anfang an nicht die Festlegung auf ein einheitliches Konzept zu ihrer Erreichung. Schon bei der Gründung des Europarates am 5. Mai 1949, des ersten nationenübergreifenden Forums zur Umsetzung des Integrationsgedankens, konkurrieren zwei Organisationsprinzipien für die Gestaltung der europäischen Einheit miteinander: das des Staatenbundes und das des Bundesstaates. Wie immer hat dieser europäische Gegensatz auch eine fruchtbare Seite: Ohne eine starre Festlegung auf ein einziges geschlossenes Europamodell kann der Einigungsprozess je nach gegebener Situation an völlig unterschiedlichen Materien der Politik ansetzen – und von dort aus versuchen, Fortschritte zu erzielen. In diesem ausgeprägten pragmatischen Grundzug 11 gibt sich der Integrationsprozess als ein wahres Kind europäischer Tradition und Identität zu erkennen.
    Pragmatismus prägt auch den Integrationsansatz des Vertrages über die EGKS (unterzeichnet am 18. April 1951), die durch die gemeinsame Kontrolle, Planung und Verwertung der potenziell kriegswichtigen Ressourcen Kohle und Stahl in den Unterzeichnerstaaten einen Eckpfeiler der westeuropäischen Friedensordnung bildet und die Überwindung der deutsch-französischen Erbfeindschaft wesentlich erleichtert. Erstmals gelingt hier die supranationale Organisation eines zentralen Politikbereiches, der bislang allein in nationalstaatlicher Kompetenz gelegen hat: Die Erstunterzeichner Frankreich, Italien, die Bundesrepublik Deutschland und die Benelux-Staaten verzichten auf einen Teil ihrer Souveränität und unterwerfen sich den Entscheidungen der von ihnen geschaffenen übernationalen Institutionen. Der Pragmatismus dieser Konstruktion zeigte sich nicht zuletzt in ihrem funktionalistischen Integrationsansatz. Der Funktionalismus geht davon aus, dass sich durch die Integration einzelner Sektoren und Politikfelder ein gewisser sachlogischer Druck zur Übertragung immer weiterer Funktionen ergibt, bis sich schließlich eine

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