Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
einen Vertrag – eine »Europäische Akte« – inhaltlich zu fixieren. Die Grundgedanken dieser Akte sind:
1. die stärkere Verbindung von EG und EPZ unter dem gemeinsamen Dach des Europäischen Rates;
2. die Steigerung der Effizienz im Entscheidungsprozess durch den Ausbau der Führungsposition des Europäischen Rates, durch die Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlamentes und durch die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat;
3. die Einbeziehung der Sicherheitspolitik in die EPZ;
4. die engere Zusammenarbeit im kulturellen und im rechtspolitischen Bereich.
Nach kontroversen Auseinandersetzungen mündet diese Initiative in die »Feierliche Deklaration zur Europäischen Union«, die auf dem Stuttgarter Gipfel des Europäischen Rates am 19. Juni 1983 verabschiedet wurde.
Das wesentliche Ergebnis des Stuttgarter Gipfels liegt wiederum im Schnüren des Reformpaketes aus den zentralen materiellen Strukturproblemen, welche die Gemeinschaft belasten. Dabei geht es um die künftige Finanzierung mit Blick auf die Erhöhung der Einnahmen, die strengere Haushaltsdisziplin und den Zahlungsausgleich für Großbritannien, die Reform des Agrarmarktes, die Erweiterung der EG durch den Beitritt von Spanien und Portugal sowie um die Entwicklung neuer Gemeinschaftspolitiken. Mit dem Stuttgarter Gipfel gelingt es der Gemeinschaft, unterschiedliche Interessenkonflikte in einen Verhandlungszusammenhang zu bringen und damit kompromissfähig zu machen. Es liegen jedoch noch einige stürmische Gipfel und kontroverse Auseinandersetzungen vor den Mitgliedstaaten, bevor sie den gordischen Knoten des Reformstaus durchschlagen können: 1984 stellt der Europäische Rat die letzten Weichen für die Süderweiterung der EG um Spanien und Portugal. Als die Verträge zu ihrem Beitritt am 1. Januar 1986 vollzogen werden, herrscht trotz Sorgen und Befürchtungen Feiertagsstimmung.
Der Beitritt wird als selten gewordenes Erfolgserlebnis der Europapolitik verstanden. Die politische Architektur der EG wandelt sich durch die Erweiterung. Der gemeinsame, weitgehend vergleichbare Entwicklungstrend mit der Perspektive der politischen Einigung Europas ist durch die Beitritte der 1970er und 1980er Jahre einem stärker ökonomisch akzentuierten Ansatz gewichen. Das Profil des Integrationsprozesses verlagert sich. Die Süderweiterung verschiebt das Schwergewicht zum Mittelmeer. Sie erzwingt zudem höhere Ausgaben der Gemeinschaft. Parallel zur Vereinbarung der Erweiterung wird daher eine Korrektur des EG-Haushaltsvertrages vorgenommen.
Im Sommer 1985 beruft der Europäische Rat in Mailand die Regierungskonferenz zur Ausarbeitung der »Einheitlichen Europäischen Akte« ein, welche die bis dahin auf dem Tisch liegenden Reformvorschläge für die Gemeinschaft präzisieren und entscheidungsreif machen soll. Dieser weitreichende Beschluss erfolgt gegen den Willen von drei Mitgliedsländern – auch ein Novum in der Geschichte der europäischen Einigung. Oberflächlich betrachtet, folgt der Mailänder Gipfel dem herkömmlichen Ritual der Europapolitik. Er vertagt die Entscheidungen; er verlagert die Beratungen in ein neues Gremium; er stellt wichtige Schritte für später in Aussicht.
Schon manch ein gut gemeinter Reformvorschlag ist nach dieser Methode von der europapolitischen Bühne verschwunden. Was ist in Mailand anders? Drei Antworten sind darauf zu geben: Erstmals seit vielen Jahren ist eine entschlossene Führung zur Fortentwicklung der EG praktiziert worden; es werden scharf die denkbaren Alternativen und Handlungsmargen markiert; die anstehenden Entscheidungen zielen auf sensible Schnittpunkte unterschiedlicher Traditionslinien der Europapolitik.
Der Mailänder Gipfel bestätigt eine elementare europäische Erfahrung: Das politische Kalkül muss sich an den wirklich bestehenden Handlungsmöglichkeiten und den Führungspotenzialen orientieren. Als Träger einer Reform kommen daher nur jene Regierungen und Regierungschefs infrage, die mit der europäischen Integration mehr verbinden als ökonomische Gesichtspunkte oder eine eher technische Einrichtung. Vor diesem Hintergrund legen die politischen Konstellationen ein vor allem zwischen Deutschen und Franzosen abgestimmtes Verfahren nahe.
Die Regierungskonferenz, an deren Vorbereitung und Durchführung alle zwölf Staaten mitwirken, erarbeitet schließlich die Einheitliche Europäische Akte (EEA), die bereits im Dezember 1985 verabschiedet wird. Langfristige und strukturelle
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