Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
baltischen Streben nach Unabhängigkeit.
1941 marschierte die Wehrmacht in Estland ein. Mit der Rückkehr der Roten Armee zwischen 1944 und 1945 wurde der nationalsozialistische Totalitarismus durch den sowjetischen Totalitarismus ersetzt. Dieser dauerte bis 1990. Einen bewaffneten estnischen Widerstand gab es noch bis in die 1950er Jahre. Er wurde dann von einem verdeckten Widerstand, dem Dissidententum und der Menschenrechtsbewegung abgelöst, besonders nach der in Helsinki erzielten KSZE-Akte 1975. 1 Als Michail Gorbatschow 1985 die politische Führung der Sowjetunion übernahm und eine Politik von Glasnost, Perestroika und Demokratisazija verkündete, ergriffen die Esten die Chance, ihre Unabhängigkeit wiederzuerlangen. Im Oktober 1988 gründeten sie die Volksfront von Estland (PFE). Da sich die PFE nicht entschlossen genug über eine Unabhängigkeit Estlands äußerte, schlugen andere Gruppen im Februar 1989 die Einberufung eines Kongresses von Estland vor, um den Bürgern Estlands die Möglichkeit zu geben, die Zukunft ihres Landes zu bestimmen. Im Frühjahr 1990, als der nächste Oberste Sowjet
gewählt werden sollte, war die nationale Unabhängigkeit das zentrale Thema. In ihrer ersten Sitzung am 30. März 1990 billigten die Abgeordneten die Beiträge des Kongresses von Estland – er war am 11./12. März in Tallinn zusammengekommen – und verkündeten, dass Estland am Anfang einer Übergangsperiode stehe, die zur Wiederherstellung der Republik Estland von 1918 führen würde.
Obwohl Moskau gegen das Unabhängigkeitsstreben der baltischen Staaten war, wurde die militärische Macht der Sowjetunion nur in Litauen und Lettland entfesselt, nicht aber in Estland. Im gleichen Zeitraum, in dem die UdSSR mit einem misslungenen Putsch zu kämpfen hatte, erklärten die drei baltischen Staaten am 20./ 21. August 1991 ihre Unabhängigkeit. Innerhalb einer Woche wurde sie von den Europäischen Gemeinschaften und der Russischen Föderation anerkannt, innerhalb eines Monats auch von der UdSSR. Während bis zum Dezember 1991 die UdSSR in sich zusammenfiel, wurden Estland, Lettland und Litauen als Mitglieder der UNO und der OSZE weltweit diplomatisch anerkannt.
2. Aktuelle Situation
Nach der Wiederherstellung der Republik Estland begann die harte Arbeit, die Grundlagen für einen demokratischen Staat und eine freie Marktwirtschaft zu schaffen. Fast alles musste umgewandelt oder völlig neu geschaffen werden. Eine schwere Wirtschaftsrezession erschwerte diese Aufgabe. Wie schon im Jahre 1918 musste das Land wieder von fremden Streitkräften befreit werden. Nach schwierigen Verhandlungen zog Russland, als Nachfolgestaat der UdSSR, die ehemals sowjetischen Streitkräfte am 31. August 1994 ab und demontierte seine Militäreinrichtungen.
2.1 Politische Entwicklung
Die wesentlichen Schritte, die zur Wiederherstellung der Republik Estland nötig waren, wurden 1992 vollendet. Eine Gesetzgebende Versammlung, bestehend aus 30 Abgeordneten des Kongresses von Estland und 30 Abgeordneten aus dem Obersten Rat, entwarfen die neue Verfassung, die gemäß einem Referendum am 28. Juni 1992 angenommen wurde. Sowohl die Wahlen zum Parlament als auch die Präsidentschaftswahlen wurden am
20. September 1992 abgehalten. 627 Kandidaten aus 16 Organisationen bewarben sich um die 101 Sitze des estnischen Einkammerparlamentes, dem Riigikogu. Obwohl Abgeordnete aus neun Gruppierungen gewählt wurden, führte die Bildung einer Mitte-Rechts-Koalition, bestehend aus 51 Abgeordneten der estnischen Nationalen Unabhängigkeitspartei Pro Patria und der Gemäßigten sowie einer Linkskoalition, bestehend aus 32 Abgeordneten von PFE und Sichere Heimat , zu einem bunt gemischten aber funktionsfähigen Parlament.
Der Präsident wird normalerweise indirekt vom Parlament und einem Wahlmännergremium gewählt. 1992 stimmten die Wähler für einen von vier Kandidaten. Da keiner von ihnen mehr als 50 Prozent der Wählerstimmen bekam, wurde die Entscheidung vom Riigikogu getroffen. Lennart Meri, ein zum rechten Spektrum tendierender Filmemacher und früherer Außenminister, wurde in das Amt gewählt. Seine Wiederwahl im September 1996 sicherte dem internationalen diplomatischen Parkett auch weiterhin einen eloquenten Vertreter Estlands, was als stabilisierendes Gegengewicht zur turbulenten Innenpolitik des Landes angesehen werden kann. Da Meri nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren durfte, entschieden sich die Wahlgremien am 21. September 2001 für den
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