Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
bekannten Politiker Arnold Rüütel als neuen Präsidenten Estlands. 2 Erst kürzlich ist die Direktwahl des Präsidenten wieder zum Thema geworden.
Die nächsten Parlamentswahlen wurden vorgezogen, um den neu eingebürgerten Einwohnern die Möglichkeit zu geben, ihre Rechte wahrzunehmen. Deshalb zog im März 1995 eine Mehrheit links von der Mitte in das Riigikogu ein, unter ihnen sechs Abgeordnete der russischsprachigen Wählerunion »Unsere Heimat ist Estland«. Obwohl die Wähler nicht gegen den politischen und wirtschaftlichen Kurs waren, den die rechten Parteien und die Regierung von Premierminister Mart Laar eingeschlagen hatten, lehnten sie den Streit und die Korruption führender Politiker ab und sehnten sich nach einer Pause bei den drastischen wirtschaftlichen Reformen. Das neue Riigikogu und die Regierung führten Estlands Außen- und Wirtschaftspolitik weiter.
1994 erkannte das Riigikogu, dass viele politische Probleme ihre Ursache in der Unzahl kleiner politischer Parteien haben. Es beschloss, dass eine politische Partei sich nur registrieren lassen konnte, wenn sie mindestens 1 000 Mitglieder hatte. Kurz vor der Wahl im Jahre 1995 wurden eklektische Allianzen geschmiedet. Nach der Wahl kam es aber zu einer Konsolidierung gleichgesinnter Kräfte. So hatte zwar das Gesetz zur Reduzierung der Anzahl der Parteien Wirkung gezeigt, jedoch verminderte es die Streitsucht der Politiker in keiner Weise – und auch nicht den Wunsch, neue Parteien zu
gründen. Dies war der Hauptgrund für die Kurzlebigkeit der verschiedenen Regierungen.
Die Parlamentswahlen vom März 1999 führten zu einer Mehrheit rechts von der Mitte im Riigikogu. Die gemäßigte linke Zentrumspartei, ein entfernter Nachfolger der PFE, erhielt jedoch 28 Sitze im Parlament, mehr als die anderen sechs Parteien im Riigikogu. Diesmal wurden die Russisch sprechenden Wähler von sechs Abgeordneten der Vereinigten Volkspartei vertreten, da »Unsere Heimat ist Estland« es nicht schaffte, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden.
Am 25. März 1999 wurde Mart Laar in seinem Amt als Premierminister bestätigt. Doch die Kritik an Laar und seinen Ministern wurde beständig lauter; die Arbeitslosigkeit stieg gleichzeitig auf ein neues post-postsowjetisches Niveau von 13 Prozent an. Die Regierung musste zurücktreten. Dennoch konnte Laars zweite Regierung auf einen Amtszeitrekord von etwas mehr als zwei Jahren zurückblicken – was keiner Regierung seit dem Jahr 1991 gelungen war.
Die Wahlen vom März 2003 brachten einen politischen Umschwung im Riigikogu in Form einer neuen Regierung mit sich. Von den zwölf zur Wahl angetretenen Parteien gelang nur sechs der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Die Zentrumspartei konnte wiederholt 28 Sitze für sich verbuchen. Doch die so genannte Res Publica, eine 2001 neu gegründete Mitte-Rechts-Partei, konnte ebenfalls 28 Sitze gewinnen. Die liberale linke Reformpartei, unter der Parteiführung von Siim Kallas, erhielt 19, die nationalkonservative Volksunion Estlands 13, die Nationale Christlich-Demokratische Pro-Patria Union 9, und die sozialdemokratische Volkspartei Möödukad 6 Mandate. Das 13-köpfige Kabinett wurde zunächst von Premierminister Juhan Parts von der Res Publica geleitet. Seit dem 12. April 2005 ist Andrus Ansip Premierminister.
2.2 Gesellschaftliche Integration
Ausländische Beobachter waren der Meinung, dass die Wahlen im Jahre 1992 frei und fair waren. Sie wiesen jedoch darauf hin, dass Tausende von Einwohnern weder wählen noch für öffentliche Ämter kandidieren konnten, da sie nicht estnische Bürger waren. In der Bewertung von Estlands Kandidatur zum Beitritt bezeichnete die EU diesen Zustand als unzureichend und drang auf eine bessere Integration der Nicht-Esten in das öffentliche Leben des Landes. Die Benachteiligten waren Siedler aus der Sowjetzeit (hauptsächlich Russen) und deren Nachkommen.
In den späten 1930er Jahren machten die Esten 88 Prozent der Bevölkerung ihres Landes aus, im Jahre 1989 waren es jedoch nur noch 62 Prozent. Zur gleichen Zeit stieg der russische Anteil der Bevölkerung von 8,2 Prozent auf 30,3 Prozent. Die dramatischen Veränderungen hatten ihre Ursache in Tod und Umsiedlung infolge des Zweiten Weltkrieges, sinkenden Geburtenraten sowie Moskaus Ziel, einen einheitlichen Sowjetstaat zu schaffen. Um dies zu erreichen, veranlasste Moskau Massendeportationen von Esten nach Sibirien, ermutigte Russen, sich in Estland anzusiedeln und unterstützte
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