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und anfangs idealistische Außenpolitik, die sich in einer engagierten Unterstützung des KSZE-Prozesses zeigte. 5 Nach dem perzipierten Versagen der KSZE in Jugoslawien, dem kraftvollen Auftreten der USA im Golfkrieg und der sowjetischen Intervention im Baltikum änderte die tschechoslowakische Außenpolitik im Winter 1990/1991 jedoch ihre Orientierung.
Die Regierung begann, einen NATO-Beitritt ihres Landes anzustreben, 6 da ihrer Meinung nach die NATO die »einzige funktionierende Sicherheitsinstitution« 7 darstellte, welche die CSFR aus dem gefährlichen »sicherheitspolitischen Vakuum« 8 befreien konnte.
Zu Beginn des Jahres 1991 bildete sich auch die Parteienlandschaft heraus. Die breite Front des Bürgerforums zerfiel, und die Bürgerlich-Demokratische Partei (ODS) unter Wirtschaftsminister Václav Klaus wurde zur stärksten Gruppe. Der liberale mittlere Flügel wurde durch die Bürgerlich-Demokratische Allianz (ODA) und die Bürgerliche Bewegung (OH) unter Außenminister Jiří Dienstbier sowie die Volkspartei (KDU-CSL) besetzt. Die Sozialdemokraten (CSSD) und die ehemaligen Kommunisten bildeten die Opposition.
1.2 Die wirtschaftliche Entwicklung der Tschechoslowakei
Wirtschaftlich befand sich die Tschechoslowakei 1989 in einer relativ günstigen Ausgangslage. Sie gehörte mit ihrer industriellen Entwicklung, der geringen Auslandsverschuldung und dem hohen Bildungsniveau innerhalb der Warschauer Vertragsorganisation zu den wirtschaftlich führenden Ländern. Dennoch stellte die wirtschaftliche Transformation der in den 1950er Jahren eingeführten Schwerindustrie stalinistischen Typs eine schwierige Aufgabe dar, insbesondere da die CSFR vor 1989 so gut wie keinen Privatsektor besaß.
Václav Klaus, ein Verfechter einer Marktwirtschaft »ohne Adjektiv«, entwarf ein Wirtschaftsprogramm, welches trotz des deklarierten extremen Marktliberalismus in der Praxis weit weniger radikal verlief. In der »kleinen Privatisierung« wurden erfolgreich kleinere Betriebe im Handels- und Dienstleistungsbereich versteigert. Die »große Privatisierung« von großen Staatsbetrieben, die sich auf eine Couponprivatisierung stützte, bei der Anteilsscheine gegen eine Verwaltungsgebühr an die Bevölkerung verteilt wurden, erwies sich als problematischer. Im Außenhandel brachen die traditionellen Absatzmärkte in Osteuropa zusammen, während die EU-Staaten zum stärksten Handelspartner wurden. Insgesamt war die CSFR wirtschaftlich erfolgreich. Inflation und die Arbeitslosenquote blieben niedrig, und der soziale Frieden wurde gewahrt. Die Tschechoslowakei stand zusammen mit Ungarn und Polen wirtschaftlich an der Spitze der ehemaligen RGW-Staaten 9 und wurde häufig als der Musterknabe bezeichnet. 10
Die innenpolitische Entwicklung wurde seit 1991 jedoch zunehmend vom Streit um die Kompetenzverteilung zwischen Föderal- und Nationalregierungen
belastet. In der Slowakei wurde eine lediglich lose Föderation oder Konföderation – mit der Slowakei als eigenem Völkerrechtssubjekt – diskutiert. 11 In Tschechien hingegen war Václav Klaus an einer größeren Macht für den Föderalstaat interessiert. Die Entwicklung spitzte sich mit den Wahlen im Juni 1992 zu. In Tschechien wurde eine Mitte-Rechts-Regierung gewählt, die sich dem wirtschaftlichen Liberalismus verschrieb, während in der Slowakei eine eher linksorientierte Regierung gebildet wurde, welche soziale Aspekte stärker berücksichtigte. Die fehlende Einigung auf eine gemeinsame Verfassung besiegelte die Teilung. Die Trennung der beiden Landesteile erfolgte jedoch ohne Mitwirkung der Bevölkerung, in der es keine Mehrheit für eine Teilung gab. 12
2. Aktuelle Situation
2.1 Die politische Entwicklung Tschechiens
Die Teilung der CSFR erschien für die Tschechische Republik zunächst einmal vorteilhaft. Tschechien rückte geopolitisch vom instabilen Osteuropa nach Westen und ist nun von vier stabilen Nachbarn umgeben (Slowakei, Polen, Deutschland und Österreich). Das wirtschaftlich erfolgreichere Tschechien erschien anfangs auch politisch stärker gefestigt. Das Bild des Musterknaben änderte sich jedoch mit den Wahlen im Juni 1996. Die Regierungskoalition aus ODS, ODA und KDU-CSL errang keine Mehrheit und war nun auf eine Tolerierung durch die oppositionellen Sozialdemokraten (CSSD) angewiesen. Nach dem Sturz des Premierministers Václav Klaus im November 1997 wurde eine Übergangsregierung unter Nationalbankpräsident Josef Tosovsky eingesetzt, die bis zum Juni 1998
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