Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
☐ Informe Comunidades Autonomas 2001. Instituto de Derecho Público, Barcelona 2002, S. 21-39. ☐ Informe Comunidades Autonomas 2002, Instituto de Derecho Público, Barcelona 2003, S. 15-32.
Josefine Wallat
Tschechische Republik
Im November 1989 wurde das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei durch Studentenproteste gestürzt. Die friedliche Weise dieses Umbruches führte zu der Bezeichnung »samtene Revolution« 1 . Tschechen und Slowaken hatten damit zum ersten Mal seit der traumatischen Erfahrung des gescheiterten Reformversuches von 1968 die Chance, die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung ihres Landes selbst zu bestimmen. Diese Chance wurde von der zumeist aus Dissidenten zusammengestellten Regierung genutzt, die in der Tschechoslowakei eine umfassende Transformation und eine aktive Außenpolitik betrieb, welche die Tschechoslowakei neu in Europa positionierte. Die junge Regierung versuchte, die durch den Ost-West-Konflikt gekappten Bindungen an die Strukturen Westeuropas, vornehmlich die Europäische Union und die NATO, neu zu knüpfen. Am 1. Januar 1993 zerfiel der Föderalstaat Tschechoslowakei. Die beiden Nachfolgestaaten Tschechische Republik und Slowakische Republik waren damit gezwungen, innerhalb kürzester Zeit zum zweiten Mal von neuem zu beginnen. Am 12. März 1999, fast zehn Jahre nach dem Ende des Kommunismus, wurden die außenpolitischen Bemühungen der Tschechischen Republik durch den Beitritt zur NATO belohnt. Seit dem EU-Beitritt am 1. Mai 2004 ist die Reintegration in Europa vollendet.
1. Historischer Überblick
1.1 Die politische Entwicklung der Tschechoslowakei
Die Tschechoslowakei gehörte bis 1989 zu den »konservativsten« kommunistischen Regierungen. Die Studentenproteste vom 17. November 1989, welche die alte Führung zu Fall brachten, trafen die tschechoslowakische Regierung daher unvorbereitet. Der »revolutionäre« Umbruch ermöglichte einen kompletten Austausch der politischen Elite, die sich zumeist aus der oppositionellen Menschen- und Bürgerrechtsbewegung
Charta 77 rekrutierte. Diese breite Koalition unterschiedlichster politischer Richtungen errang als Bürgerforum (OF/VPN) in den Wahlen am 8./9. Juni 1990 eine überwältigende Mehrheit.
Die Prioritäten der neuen Regierung waren eine umfassende Demokratisierung, die Einführung einer funktionierenden Marktwirtschaft und eine Neubestimmung der Außenbeziehungen. Das Zusammenleben der beiden Staatsnationen wurde durch eine Föderalisierung neu bestimmt, die sich auch im Staatsnamen niederschlug: Tschechische und Slowakische Föderative Republik (CSFR). Neben der gemeinsamen föderalen Regierung entstanden so zwei nationale (tschechische bzw. slowakische) Regierungen und die entsprechenden Parlamente. Die Einführung demokratischer Strukturen erfolgte rasch. Alle Wahlen seit 1990 waren demokratisch, eine neue Verfassung wurde verabschiedet, und die am stärksten diskreditierten Persönlichkeiten wurden durch das so genannte »Lustrationsgesetz« aus dem Staatsapparat entfernt.
Das Ende des Ost-West-Konfliktes 1989 ermöglichte eine Neuordnung Europas. Das Hauptziel der ČSFR-Außenpolitik war die internationale Neupositionierung des Landes. Die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität durch den Abzug der sowjetischen Truppen im Juni 1991 war einer der ersten großen Verhandlungserfolge der jungen Diplomatie und der Versuch, die belasteten Beziehungen zur Sowjetunion, zu Russland, auf eine neue, gleichberechtigte Ebene zu stellen. Die historisch mehrfach verhängnisvolle geopolitische Lage der Tschechoslowakei zwischen den Großmächten Deutschland und Russland bestärkte die junge CSFR-Regierung in dem Wunsch, keinesfalls erneut zu einem Cordon sanitaire zwischen einem stabilen, sich integrierenden Westeuropa und einem sich destabilisierenden Osteuropa zu werden. Die neue Orientierung hieß daher: fort vom ehemals kommunistischen Osteuropa und Reintegration in das demokratische und wirtschaftlich erfolgreiche Westeuropa, zu dem sich die Tschechoslowakei traditionell zugehörig fühlte. Dieses »Zurück nach Europa« spiegelte sich in der praktischen Politik wider. Zum einen fand die Rückbesinnung auf Mitteleuropa ihre praktische Ausprägung in der Visegrád -Kooperation. 2 Zum anderen führte der Wunsch, den »Strukturen der normalen und zivilisierten Welt« 3 beizutreten, zur EU-Annäherung. 4 Drittens erforderte der Wille nach einer Mitgestaltung des neuen Europas eine aktive
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