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Europa-Handbuch - Europa-Handbuch

Europa-Handbuch - Europa-Handbuch

Titel: Europa-Handbuch - Europa-Handbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Weidenfeld
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EU-Politik tangierendes Problem besteht darin, dass nur ein Teil der Brüsseler Interessenvertretungen Euroverbände sind. Nur diese tragen von ihrer organisatorischen Basis her zu einer sektoralen oder horizontalen europäischen Interessenaggregation bei und erbringen gesellschaftliche Vermittlungs- und Akzeptanzleistungen. Um den mit diesen heterogenen Lobbystrukturen verbundenen Problemen einer zunehmend unkontrollierbaren, sich partikularisierenden Interessendurchsetzung zu begegnen, sind im Laufe der 1990er Jahre seitens des Europäischen Parlamentes und der Kommission verschiedene Maßnahmen erwogen und teilweise umgesetzt worden, darunter die Steuerung der Kriterien für die »Repräsentativität« von Interessenten in den (in-)formellen Anhörungsprozessen, die Reorganisation und Straffung eines ausufernden Systems beratender Ausschüsse und die Festlegung von Zugangs- und Verhaltensregeln für Lobbyisten. Da die meisten Parlamente der EU-Mitgliedstaaten keine derartigen Registrierungspflichten und verbindlichen Verhaltensregeln kennen, gestaltet sich dieser Prozess schwierig. Die Strategie der Kommission besteht darin, die lobbying community zur Selbstregulierung durch einen freiwilligen code of conduct zu bewegen und sich (ebenfalls freiwillig) in ein Lobby-Register einzutragen. 10
    Ein zweiter Trend, der die Entwicklung in zahlreichen Verbandsbereichen der Industrie, des Handels und des Dienstleistungssektors, aber auch der Gewerkschaften kennzeichnet und den Bedeutungszuwachs der europäischen Handlungsebene unterstreicht, kommt in der Stärkung dualer Vertretungsstrukturen zum Ausdruck. Zum einen sind die Verbände bestrebt, ihre multilaterale Interessenvermittlung im Rahmen ihrer europäischen Zusammenschlüsse zu effektivieren, zum anderen bauen die nationalen Verbände
ihre eigenen Informations- und Einflusskanäle auf europäischer Ebene durch die Etablierung von Verbindungsbüros in Brüssel aus.
    Ein drittes Charakteristikum europäischer Interessenvermittlung kann darin gesehen werden, dass mit der Ausgestaltung des Binnenmarktes in einzelnen Feldern des Arbeits-, Verbraucher- und Umweltschutzes und in den Bereichen der technischen Normierung die »partizipative Steuerung« durch Euroverbände an Bedeutung gewinnt.
    Nach den Vorstellungen des Weißbuches »Europäisches Regieren« (2001) der EU-Kommission ist zu erwarten, dass sich diese Tendenz einer umfassenden Einbeziehung der organisierten Zivilgesellschaft in die Vorbereitung, Ausgestaltung und Umsetzung gemeinschaftlicher Politik, einschließlich der transnationalen Selbstregulierung durch gesellschaftliche Organisationen, weiter verstärken wird.
    Ein vierter Trend ist schließlich die Herausbildung eines europäischen Mehrebenensystems der Arbeitsbeziehungen mit einem signifikanten Bedeutungszuwachs institutionalisierter Sozialpartnerbeziehungen auf EU-Ebene seit Mitte der 1990er Jahre. 11 Dies bedeutet, dass die herausgehobene Bedeutung, die den Sozialpartnern in den nationalen Verbänden zukommt, und die Rolle, die sie wahrnehmen, nunmehr ein trans- und supranationales Gegenstück findet. Mit dem In-Kraft-Treten des Maastrichter Vertrages haben aufgrund erweiterter sozialpolitischer EU-Kompetenzen und der Aufwertung des »Sozialen Dialoges« die Interaktionen zwischen den europäischen Sozialpartnern eine neue Qualität angenommen.
    Eine erweiterte Rolle wird den europäischen Sozialpartnern schließlich durch die beschäftigungspolitischen Weichenstellungen des Amsterdamer Vertrages und den »Europäischen Beschäftigungspakt«, den so genannten »Köln-Prozess« zugewiesen. Sie sind nunmehr formell in den makro-ökonomischen Dialog und beschäftigungspolitischen Koordinierungsprozess einbezogen.
    Im Vergleich zu dem in den 1970er Jahren nur schwach ausgeprägten »europäischen Tripartismus«, 12 also den Konferenzen zwischen Sozialpartnern und Kommission bzw. Rat und dem zunächst rein konsultativen »Sozialen Dialog«, bedeutet dies: Den europäischen Verbänden der Sozialpartner, die bis dahin reine »Einflussträger« waren, steht nunmehr die Option autonomer Kollektiwerhandlungen offen. Sie erhalten außerdem die Möglichkeit, als »Entscheidungsträger« in bestimmten, vertraglich definierten Bereichen der europäischen Sozial- und Arbeitspolitik Vereinbarungen zu treffen, die in die gemeinschaftliche Sozialgesetzgebung übergehen.
    Nach letzterem Verfahren wurden Vereinbarungen zum Elternurlaub (1995), zur Teilzeitarbeit (1997)

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