Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
Maastrichter Verfahren des »Sozialen Dialoges« zu verhandeln und verbindliche Vereinbarungen zu treffen.
Ein Charakteristikum der jüngeren Entwicklung zahlreicher europäischer Verbände ist die sachliche und räumliche Ausdifferenzierung und Ausweitung von Netzwerkstrukturen der Information, Beratung und Kooperation. Eine vertikale Netzwerkstruktur gewinnt insbesondere bei jenen Verbänden an Bedeutung, die auf europäischer Ebene eine Vielzahl nationaler und regionaler Mitgliedsorganisationen vertreten und deren Interessen und Aufgabenfelder von den Struktur- und Regionalpolitiken der EU stark tangiert sind. Dazu zählen die europäischen Kammer-, Gewerkschafts-, Umwelt- und Verbraucherorganisationen.
Beispiele derartiger Netzwerkstrukturen finden sich in zahlreichen Sektoren und Verbandsbereichen: EUROCHAMBRES, die 1958 gegründete europäische Dachorganisation der Industrie- und Handelskammern, bildet das quantitativ größte multinationale business network. Über ihre Mitgliedsorganisationen in zwischenzeitlich 32 Ländern vertreten, vernetzt und repräsentiert sie europaweit 1200 regionale Kammern. Im Rahmen eines im Jahr 1996 beschlossenen strategischen Aktionsplanes baut EUROCHAMBRES einen elektronischen Datenverbund auf, der spezifische Informationsdienstleistungen für 14 Millionen Unternehmen in Europa zugänglich macht.
Auch der Europäische Gewerkschaftsbund koordiniert und unterstützt die Aktivitäten von insgesamt 29 »Interregionalen Gewerkschaftsräten« innerhalb und außerhalb der EU, die in Grenzregionen Arbeitnehmerinteressen vertreten und in die Umsetzung regionaler EU-Programme einbezogen sind. Einer explizit ausformulierten Netzwerkphilosophie, die in einer Phase »offener ökonomischer und politischer Systeme« über die Qualität der Verbandsarbeit entscheidet, 8 folgt auch das Europäische Umweltbüro, welches über seine nationalen Mitgliedsorganisationen (z. B. den BUND) 500 regionale, 800 lokale und 260 assoziierte Gruppen und Initiativen im gesamten europäischen Raum verbindet und als europäisches Sprachrohr vertritt.
Parallel dazu weiten sich bei allen größeren europäischen Dach- und Branchenverbänden auch die horizontalen Netzwerke aus. Die Euroverbände binden seit Mitte der 1990er Jahre verstärkt Partnerorganisationen aus den Ländern Mittel- und Osteuropas und des südöstlichen Mittelmeerraumes ein. Vor allem Verbände aus jenen Ländern, die der EU am 1. Mai 2004 beitraten, sind inzwischen mit dem Status von Vollmitgliedern in zahlreichen Euroverbänden integriert.
Schließlich gewinnt vielfach der systematische Ausbau von transregionalen Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen mit amerikanischen und asiatischen Partnerorganisationen an Bedeutung.
2. Lobbyismus und verbandliche Interessenvermittlung im EU-Entscheidungsprozess
Die institutionellen Strukturen der EU und die mehrphasigen, nach Materien variierenden Entscheidungsprozesse ermöglichen bzw. bedingen ein breites Spektrum lobbyistischer Aktivitäten und höchst variable Muster verbandlicher Interessenartikulation. Im EU-Politikzyklus können prinzipiell verschiedene Einflussstrategien zum Tragen kommen: autonom-direkte Aktionen nationaler gesellschaftlicher Organisationen gegenüber ihren Regierungen; direkte Einwirkungsversuche nationaler Interessengruppen auf die europäischen Organe; untereinander abgestimmte Einflussstrategien nationaler Akteure gegenüber ihren jeweiligen Regierungen und den EU-Organen; und schließlich die Interessenartikulation im Rahmen der europäischen Verbände, die vorrangig auf die supranationalen Organe ausgerichtet ist.
Diese Palette informeller nationaler und transnationaler Interessenvermittlung wird ergänzt durch die formelle, institutionalisierte Mitwirkung gesellschaftlicher Kräfte im Rahmen eines umfangreichen Systems beratender Ausschüsse der Kommission und des Rates. Die Vielzahl der wissenschaftlichen Ausschüsse, welche die Kommission darüber hinaus zu ihrer Beratung unterhält, zu denen beispielsweise der Veterinärausschuss, der im Zusammenhang der BSE-Problematik in die öffentliche Aufmerksamkeit rückte, gehört, sind zum erweiterten Adressatenkreis spezifischer Interessenartikulationen zu zählen. Auch die aus Vertretern der nationalen Ministerien zusammengesetzten Komitologieausschüsse fallen in diese Kategorie.
Die EU-Kommission ist als Initiativorgan und Prozessmanager der Gemeinschaftspolitik der primäre supranationale Einflussadressat der
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