Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
Verbände und Lobbyisten. Um eine durch die Euroverbände gefilterte Auffassung der jeweiligen Interessenten zu erhalten und den ihr fehlenden intermediären Unterbau zu kompensieren, hatte sie bereits frühzeitig die Bildung europäischer Verbände angeregt und gefördert. Sie sieht in ihnen ihre »natürlichen Verbündeten«, deren Arbeit sie sogar fallweise materiell unterstützt. So beispielsweise das Technikbüro und die Gewerkschaftsakademie des EGB oder das 1996 in Florenz in Zusammenarbeit mit den europäischen Sozialpartnern gegründete »Zentrum für europäische Arbeitsbeziehungen«. Kommissionsentscheidungen basieren auf dem Kollegialprinzip. Gleichwohl öffnet die starke funktionale Segmentierung der Aufgabenfelder den einzelnen Generaldirektionen beträchtliche Gestaltungsspielräume. Die engen, oftmals routinisierten Informations- und Konsultationsprozesse zwischen den Generaldirektionen und dem jeweiligen Interessentenkreis und Verbandsklientel
eines Sektors bzw. Politikfeldes begünstigen die Herausbildung von »Verbandsherzogtümern«.
Das Europäische Parlament hat im Zuge seiner sukzessive erweiterten Mitentscheidungskompetenzen als Ort und Adressat gesellschaftlicher Interessenvermittlung und lobbyistischen Wirkens signifikant an Bedeutung gewonnen. Der nationalen Parlamentspraxis vergleichbar, umfasst das Spektrum der Austauschbeziehungen förmliche Anhörungsverfahren von Verbänden und vielfältige, sowohl von nationalen als auch europäischen Interessengruppen getragene informelle Lobbyaktivitäten. Darunter fallen »Parlamentarische Abende«, zu denen Verbände einladen, gezielte Kontakte zu Ausschussvorsitzenden und Berichterstattern des Europäischen Parlamentes sowie die Interessenvertretung über Abgeordnete, die zugleich Mitglied oder Funktionsträger einer Interessenorganisation sind.
Unter den beratenden Ausschüssen der EU stellt der Wirtschafts- und Sozialausschuss (WSA) das wichtigste Organ einer institutionalisierten Interessenrepräsentation dar. Auch wenn seine auf Vorschlag der nationalen Regierungen ernannten Mitglieder formal »an keine Weisungen der Gruppen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens gebunden sind« (Artikel 193 Absatz 2 EGV), agieren sie aufgrund ihres Sachverstandes und sozioprofessionellen Hintergrundes in der Praxis der Beratungsvorgänge des Ausschusses und seiner Studiengruppen als Statthalter ihrer nationalen Berufs- und Interessenverbände. Soweit diese auf europäischer Ebene vertreten sind, betätigen sie sich auch als Mittler der Euroverbände.
In seinem strategischen Stellenwert als Adressat und Arena verbandlicher Interessenvermittlung rangiert der WSA hinter der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament. Der WSA ist nach seinem Selbstverständnis wie seiner Praxis das Organ der »organisierten Zivilgesellschaft« der EU.
Mit der Einrichtung des Ausschusses der Regionen und der institutionellen Aufwertung des »Sozialen Dialoges« der europäischen Sozialpartner wurden weitere Institutionen geschaffen, die als Adressaten und Vermittlungsinstanzen spezifischer zivilgesellschaftlicher Interessen dienen. Der Ministerrat bzw. die europäischen Fachministerräte sind im Entscheidungsstadium gegenüber einer unmittelbaren Verbandseinflussnahme weitgehend abgeschirmt. Eine punktuelle Möglichkeit euroverbandlicher Interessenartikulation bieten dagegen die Tagungen des Europäischen Rates der Staats-und Regierungschefs. Hier hat sich die Praxis herausgebildet, wonach der amtierende Ratspräsident am Vorabend einer Ratstagung Delegationen repräsentativer europäischer Dachverbände zu einem informellen Meinungsaustausch empfängt.
3. Trends und Perspektiven des Euro-Lobbyismus und der Verbandspolitik
Die weitreichenden europapolitischen Weichenstellungen seit Mitte der 1980er Jahre haben ökonomisch und politisch den Integrationsprozess dynamisiert und damit auch die Strukturen der Interessenvermittlung in der EU nachhaltig verändert.
Die Transformationstendenzen und Europäisierungsprozesse im intermediären Bereich gesellschaftlicher Organisationen und Kräfte sind vielschichtig und uneinheitlich. Gleichwohl sind Entwicklungslinien und maßgebliche Trends zu erkennen. Mit dem jüngsten Wachstumsschub europäischer Lobbyagenturen geht seit Mitte der 1980er Jahre eine weitere Pluralisierung und »Zerfaserung« 9 der Einflussträger auf europäischer Ebene einher.
Ein strukturelles, die Frage der Transparenz und Legitimation der
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