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Europa-Handbuch - Europa-Handbuch

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Titel: Europa-Handbuch - Europa-Handbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Weidenfeld
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Ausscheiden vor. Sie besitzt eigene Rechtspersönlichkeit, und ihr politischer Prozess wird von genuin eigenen Institutionen mit vertraglich begründeter Zuständigkeit mitgetragen. Die Rechtsetzung unterliegt der Kontrolle einer unabhängigen Gerichtsbarkeit, und das gemeinschaftliche Sekundärrecht genießt – wenn auch nicht gänzlich unbestritten – Vorrang vor dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten. Bis heute beläuft sich dieser rechtliche »Besitzstand« der Integration, ihr acquis communautaire , auf die im Rahmen der Erweiterung nach Osten immer wieder zitierten 12 000 Rechtsakte, das heißt viele Tausend Seiten von Richtlinien, Verordnungen und anderen Rechtsdokumenten, deren Übernahme, Umsetzung und Einhaltung jeder neu hinzukommende Staat zusichern muss. Die Europapolitik der Staaten hat damit
den Bereich der Außenpolitik verlassen, dessen prinzipielle Anarchie nur durch die Machtbeziehungen formal gleichrangiger Akteure sowie durch das in Verträgen geschaffene Völkerrecht bzw. »Völkergewohnheitsrecht« geordnet ist. Europapolitik im Rahmen der EU bildet heute vielmehr eine besondere Form der Innen- wie Außenpolitik: Innenpolitik, da in den Zuständigkeitsbereich der EU wichtige klassische Felder der Innenpolitik fallen, von Fragen der Wirtschaftspolitik über die Währungspolitik bis zur Inneren Sicherheit; Außenpolitik, da die Union nicht nur über die Kompetenz in Außenhandelsfragen verfügt, sondern mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einen Koordinierungsrahmen für die Außenbeziehungen der Mitgliedstaaten geschaffen hat. Greifbar wird der Qualitätsunterschied von Integration im Bereich der bilateralen Beziehungen der EU-Staaten zueinander, denn der größte Teil ihrer früheren außenpolitischen Kommunikation findet heute im Rechtsrahmen und institutionellen Gefüge der EU statt.
    Die Konfliktkultur der europäischen Integration zeigt sich in ihrem institutionellen Gefüge, in den Beratungs- und Entscheidungsprozessen. Seit den ersten Stufen der Integrationsentwicklung sichert das System allen Mitgliedern weit gehend gleichrangige Mitwirkungschancen und Entscheidungsrechte zu: Alle Mitgliedstaaten waren – und sind es bis heute – mit eigenen Staatsangehörigen in der Führung der Kommission vertreten. Obwohl die Kommissare laut Vertrag von Weisungen »ihrer Staaten« unabhängig sind, hat es in der praktischen Politik zumeist eine besondere Nähe der Staaten zu den von ihnen entsandten Kommissaren gegeben. Die Besetzung der Verwaltungspositionen der Kommission folgt einem proportionalen Schlüssel, sodass auch auf den nachgeordneten Ebenen alle Mitgliedstaaten durch »eigene« Staatsangehörige verwaltet werden. Der Ministerrat, das Entscheidungszentrum im Integrationsprozess, behandelte bis zur Einführung von Mehrheitsentscheidungen alle Staaten gleichrangig; mit dem Übergang zu Mehrheitsentscheidungen wurde die qualifizierte Mehrheit geschaffen, deren Stimmgewichtung von zwei Stimmen für die bevölkerungsschwächsten und zehn für die größten Staaten den kleineren ein überproportionales Gewicht sicherte. Mit den Entscheidungen der Regierungskonferenz 2000 in Nizza sind diese Relationen nach harter Verhandlung zugunsten der bevölkerungsstärkeren Staaten modifiziert worden, doch sichern zusätzliche Sperrklauseln die Verhinderungsmacht kleinerer Staaten und Staatengruppen. Diese Machtbalance – der Faktor Bevölkerung ist weniger als demokratische Größe denn als Chiffre für Machtrelationen zu sehen – blieb in den verschiedenen Erweiterungsstufen erhalten, obgleich damit das relative Gewicht der kleineren Staaten immer weiter zugenommen
hat. Ein erster Korrekturmechanismus im System wurde bereits 1966 verankert, nachdem sich Frankreich durch seine »Politik des leeren Stuhls« gegen die Möglichkeit, im Rat überstimmt zu werden, gewehrt hatte. Der Luxemburger Kompromiss, eine außervertragliche Übereinkunft der Regierungen, sah vor, in diesen Fällen die Entscheidung bis zur Klärung des Dissenses auszusetzen. Mit dem Vertrag von Amsterdam hat diese Formel im Bereich der Flexibilität erstmals formell Aufnahme in den Vertrag selbst gefunden – ein Zeichen dafür, dass in der Konfliktkultur der EU eine in Fällen besonderen nationalen Interesses anwendbare Notbremse für erforderlich gehalten wird, wahrscheinlich umso eher, je größer und je heterogener die Union wird.
    Mehrheitsentscheidungen haben vor diesem Hintergrund in der europäischen Politik

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