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Europa-Handbuch - Europa-Handbuch

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Titel: Europa-Handbuch - Europa-Handbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Weidenfeld
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andererseits durch ein direkt gewähltes Parlament auf europäischer Ebene – den dritten Baustein supranationaler Konfliktkultur der Integration. Der Interessenausgleich im Rahmen der EU ist damit verbindlicher und stetiger verfasst als in anderen Formen zwischenstaatlicher Kooperation. Die Kompliziertheit und, in funktionaler Sicht, die Schwerfälligkeit, die den Integrationsprozess
dabei häufig kennzeichnen, resultieren aus der Rücksichtnahme auf mögliche Überforderungen der Akteure: Die Vertagung von Entscheidungen, das Schnüren von oftmals teuren oder sachlich nur schwer begründbaren Entscheidungspaketen und die Langlebigkeit außervertraglicher Vereinbarungen wie dem Luxemburger Kompromiss sind Instrumente der Rückversicherung gegen die Regression, gegen einen Zerfall der Kultur des innergemeinschaftlichen Interessenausgleiches der Europäer, der so lange eine Möglichkeit bleibt, wie die Union als Staatenverbund auf der Kontinuität der Souveränität ihrer Mitglieder beruht. Die Dynamik der Integration ist andererseits nur zu einem Teil aus Sachzwängen erklärbar, etwa aus der zunehmenden Internationalisierung der Problembestände, auf die Politik zu reagieren hat. Aus der Perspektive der Integration als Friedenskultur resultieren Integrationsfortschritte auch aus dem Motiv der Rückversicherung der wechselseitigen Bindung – hier als Versuch, die Ambitionen und weiter reichenden Statusinteressen einzelner Staaten, ob real oder perzipiert, über die Weiterentwicklung der Gemeinschaft einzubinden. Zuletzt ließ sich dieses Muster in der von Frankreich forcierten Intensivierung der Integration nach dem Fall der Mauer beobachten; die Analyse griffe jedoch zu kurz, wollte man sie nur auf den fortdauernden Versuch der Einbindung Deutschlands beschränken. 16
7. Europas »äußerer Frieden«: Sicherheit und Verteidigung
    Einem nur auf die Entwicklung der Europäischen Union fixierten Betrachter müsste diese Friedensbilanz Europas paradox erscheinen: Dem geschilderten Maß an innerem und positivem Frieden steht die weit gehende Unfähigkeit zur äußeren Friedenswahrung gegenüber, und dies, obgleich die in der EU zusammengeschlossenen Staaten über vergleichsweise starke konventionelle Armeen, hoch entwickelte Rüstungstechnologie und mit Großbritannien und Frankreich sogar über zwei Nuklearmächte verfügen. Ebenso paradox müsste erscheinen, dass diese Lage zu Beginn des 21. Jahrhunderts fortbesteht, obgleich die Debatten über eine stärkere Verantwortung der Europäer für ihre Sicherheit, über die »Selbstbehauptung Europas« oder über eine europäische sicherheits- und verteidigungspolitische Identität bereits seit den 1980er Jahren intensiv geführt werden. 17 Aus der Logik zwischenstaatlicher Kooperation und Integration wäre eine umgekehrte Entwicklung zu erwarten gewesen – die gemeinsame Gefahrenabwehr nach außen ist grundsätzlich leichter zu organisieren und impliziert geringere Bindungen für die Teilnehmer.

    Die Ursachen für die spezifisch andere europäische Entwicklung sind in drei Konstellationen zu finden, deren Organisationsfolgen ihre Entstehungsbedingungen überdauert haben. Ein erster Grund liegt in der Verschiebung der Konfliktachse europäischer Politik nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Ubergangsphase von der Anti-Hitler-Koalition zum Kalten Krieg hatte die Sicherheitspolitik westeuropäischer Staaten auf zwei Konfliktlinien zu reagieren: einerseits auf die Verhinderung eines neuen »Zweiten« Weltkriegs, das heißt auf die Kontrolle des Machtpotenzials Deutschlands, und andererseits auf die Verhinderung eines »Dritten Weltkrieges« zwischen West und Ost. Näher lag den Westeuropäern zunächst das Gefahrenpotenzial Deutschlands. Die Unterzeichnung des Brüsseler Pakts, des Vorläufers der Westeuropäischen Union, im März 1948 18 – noch vor der Berlin-Blockade Stalins – steht eindeutig im Kontext der alten Konfliktachse und war nicht auf die sich abzeichnende Konfrontation mit der Sowjetunion bezogen. Diese Prioritätensetzung zeigte sich auch noch 1954, als der Brüsseler Pakt zur Westeuropäischen Union umgebildet wurde und als europäische Hülse der Reintegration Deutschlands diejenigen Sonderbedingungen und Rückversicherungen der Westeuropäer bündelte, die im NATO-Vertrag nicht geregelt waren – vor allem Auflagen und Rüstungsbeschränkungen für die Bundesrepublik Deutschland.
    Die zweite Ursache liegt in der Geschichte europäischer

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