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Steinmauer standen, mit dem Gesicht zur Wand.
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[ 20 ] Schon der Titel des amerikanischen Films sagt alles: »Tausende jubeln« – »Thousands Cheer«.
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[ 21 ] Wie die Große Sowjetische Enzyklopädie erklärt: »Die Kommunistische Partei und die Sowjetregierung sahen die Möglichkeit eines bewaffneten Kampfes gegen die Kräfte des Imperialismus vorher und ergriffen in den Jahren des friedlichen sozialistischen Aufbaus alle notwendigen Maßnahmen, um die Verteidigungsfähigkeit des Landes zu stärken.«
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Und so kommt die Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1941, und die strenge, würdevolle Trauer der Eröffnung der 8. Sinfonie verwandelt sich rasend schnell in kreischenden Schrecken. Nach einem düsteren Spiel der Streicher erhebt sie sich noch höher ins Grelle, diesmal mit
martialischen Beiklängen. Trommelschläge wie ferne Maschinengewehrsalven künden vom offenen Krieg und Hörner heulen wie Luftschutzsirenen. Barbarossa beginnt: zehn Kontrabässe, zwölf Bassgeigen, zwölf Bratschen, dreißig Geigen, vier Trompeten, vier Flöten, zwei Oboen, ein Englischhorn, zwei Klarinetten, Bass- und Piccolo-Klarinette und zweiundzwanzig andere Instrumente an einer Front von viertausendfünfhundert Kilometern Länge. Die russischen Wachtposten kommen aus ihren Unterständen gelaufen; sie werden von Maschinengewehren niedergemäht. Viel zu früh erwacht Russland an jenem schwarzen Morgen, überführt sich selbst in die blechbläserhafte Dringlichkeit vielfältiger einsamer Ängste. Ein verrückter, schwerfälliger, schauriger Marsch trägt die Mörder näher: Die Panzergruppen haben die Brücken überquert. Und da kommen die Flieger. Nach zwei Tagen werden zweitausend unserer Flugzeuge zerstört sein. Nach einer Woche wird Minsk sich ergeben (ein Verbrechen, für das Stalin weitere acht seiner Generäle erschießen lassen wird). Die Sinfonie jault weiter. Keine Note, die nicht streng nach Untergang und Schrecken riecht. Eine erschreckend dümmliche Fanfare kündet von einem Brückenkopf des Feindes – sie haben Riga eingenommen –, oder muss man diese Fanfare tatsächlich als sowjetischen Ruf zu den Waffen verstehen? –, oder hofft Schostakowitsch, dass die »Organe« sie wörtlich nehmen, während sie im Grunde gegen Stalin persönlich geht? Ach, alles nur Musik.
Plötzlich werden wir von einem eindringlichen Schmettern der Trompeten erleuchtet. Traurig ist das, fast hoffnungslos, und daher klingt es umso aufrichtiger.
Der zweite Satz, über den ein Kritiker sagt, jeder Ansatz zur Fröhlichkeit werde rasch erstickt und in Ironie und Sarkasmus verwandelt, könnte beinahe als dumme Filmmusik durchgehen, wie der junge Schostakowitsch sie bissig am Klavier des »Lichten Bandes« ausschied. (Einmal wäre er für die vorsätzlich absurde musikalische Untermalung des Films »Sumpfvögel Schwedens« beinahe gefeuert worden.) Seine ganze Laufbahn hindurch sicherten Ballett- und Filmmusiken ihm den Lebensunterhalt. Was sein eigenes Werk anging, verweigerte er sich fortgesetzt jedem Anspruch auf programmatische Repräsentation: Nein, Rotarmisten sind keine Blechbläser, sagte er. – Ich glaube ihm nicht. – Den zweiten Satz hat die für ihn so typische Mehrdeutigkeit befallen. Lächelt Galischa und versucht sie zu tanzen? Dann bin ich gescheitert. Sie soll, sie
soll, Gott vergib mir, nicht dass ich an Gott glauben würde …! Er ließ es laut werden, zornig, gab allem eine emsige, halb-fröhliche Note, die sich mit tristem Marschtritt abwechselte. Dann am Ende das Klapperschlangenrasseln des Todes.
Der dritte Satz, das allegro non troppo , beginnt wie im Fluge, die Partitur selbst, dieses bleiche flache Blatt, das die unendlichen ukrainischen Steppen enthält, wird halb von brennenden Feldern und Städten verdunkelt, deren Untergang musikalisch in düstere Streicherklänge übersetzt wurde. Man schreibt den Monat Juli. Bald werden ihre Panzer hier sein. Schon steht schwarzer Panzerrauch am Horizont; der heiße Himmel ist schwarz von den Bränden. Und wir, von Schostakowitschs Genius in die von Angst vergifteten Herzschläge der Gamben gesperrt, müssen all dem machtlos zusehen. Kinder schreien wie Piccoloflöten. So werden sie auch in Leningrad schreien. Ich kann uns über das Flachland laufen hören, vorbei an verlassenen Dörfern, deren Hütten und Traktoren-Stationen bald feindlichen Bataillonen dienen werden. Bratschen und Geigen sind unsere Tritte. An gekalkten Wänden hängen ausgebrannte
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