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ganz genau, was wir mit Nina treiben können.
Er drohte ohnmächtig zu werden, ernsthaft, meine ich, also zerrten sie ihn auf einen Stuhl und ließen ihn dort vier weitere Stunden sitzen.
Also gut, Schostakowitsch, aufwachen, rein in das Büro da! Und zwar zackig.
Sie wollten wissen, ob es stimme, dass er gemeinsam mit dem Volksfeind Tuchatschewski Violinduette gespielt habe. Er gestand. Sie befrag
ten ihn nach musikalischen Geheimcodes. Was für Nachrichten sich mittels einer Violine übermitteln ließen? (Gerüchteweise heißt es, der Verurteilte habe ganz am Ende gesagt: Als Geiger wäre ich jetzt besser dran.)
34 Der Komponist erwiderte: Nun, Genossen, ich, ich, was ich sagen wollte, ich bin von meiner Ausbildung her kein Kryptograph, wissen Sie …
Nicht ablenken, du Schwein!
Was für Gefälligkeiten hatte dieser Volksfeind dem Bürger Schostakowitsch genau erwiesen? Und warum hing in Bürger Schostakowitschs Wohnung noch immer ein Bild dieses Volksfeindes an der Wand?
Sie fragten ihn, was er über Tuchatschewskis Verschwörung zur Ermordung des Genossen Stalin wisse. Er sagte, er wisse überhaupt nichts. Sie sagten ihm: Heute ist Samstag. Wir unterschreiben Ihren Passierschein, und Sie können nach Hause gehen. Aber am Montag sollten Sie lieber wieder hier sein, und Sie sollten sich lieber an etwas erinnern. Die Sache ist sehr ernst.
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Er eilte nach Hause. Gott sei Dank war Nina bei der Arbeit, denn wenn sie jetzt sein Gesicht hätte sehen können, hätte sie, nun ja …
Gerettet wurde er einzig dadurch, dass sein Vernehmungsbeamter verhaftet wurde.
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Er blieb zu Hause, bis er sich nicht mehr übergeben musste. (Nina flüsterte er zu: Nein nein, das ist nichts, nur eine kleine betriebsbedingte Erschütterung.) Dann biss er die Zähne zusammen und ging wieder zum Liteiny-Boulevard.
Am Eingang wurde er von den beiden Wachen mit aufgesetzten Bajonetten verhöhnt und aufs Neue beleidigt. Egal; er wollte sehen, was er für seine verbannte Schwester tun konnte.
Was bilden Sie sich eigentlich ein, wieder hier aufzutauchen?, rief der Ankläger. Vorsicht, sonst sind Sie als Nächster dran. Ihre sogenannten »musikalischen Errungenschaften« interessieren mich einen feuchten Dreck …
Wieder bat er um ein Treffen mit dem Genossen Stalin, erhielt aber keine Antwort.
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Die 5. Sinfonie trug den Untertitel »Schöpferische Antwort eines Sowjetkünstlers auf berechtigte Kritik« und wurde, als sie bei der Uraufführung im Jahr 1937 fortissimo in Dur endete, mit stürmischen Ovationen bedacht, aber Ermittler der Partei beschuldigten ihn, Claqueure ins Publikum eingeschleust zu haben.
36 In Leningrad rührte das Largo im Dritten Satz die Menschen buchstäblich zu Tränen. Aufgelöst und hingebungsvoll liefen die Menschen zur Bühne. Der Dirigent Mrawinski wedelte mit der Partitur. Als der trotzige Applaus anhielt, erblasste Schostakowitsch, ihm wurde schwach. Solche Aufwallungen waren eine Beleidigung des Genossen Stalin … Im selben Jahr schreibt er eine Jazz-Suite, deren Melodien sich schlau bei Stalins Lieblingslied »Suliko« bedienen.
Er hatte sich eindeutig ein wenig zurückgezogen, hinter seine innere Linie. Wer nicht Bescheid wusste, hätte es eine ganz schön klischeehafte Lage genannt: Ich meine, Kinder und so weiter. Zum Beispiel Galina, Galja, Galotschka, Galischa, so ein tolles Mädchen! Ihr zweiter Geburtstag war ein Starauftritt gewesen, obwohl Nina aus irgendeinem Grund sehr … aber egal. Von ihr lernte er, dass für ein Kind alle Dinge rein sind. Er beneidete sie und schämte sich. Was Maxim anging, dieses rotgesichtige Wesen mit dem Spitznamen Opus 2, der war noch keine sechs Wochen alt. Sollertinski sagte … Schostakowitsch wusste, dass von einem Vater erwartet wurde, sich mit dem Nachwuchs zu beschäftigen. Nun, warum zu konkret werden? Er würde sich von gar nichts reinwaschen. Was seine sogenannte »Karriere« anging (dass ich nicht, Sie wissen schon, lache), hoffte er, dass er weiter komponieren durfte, was ihm gefiel, aber nur gelegentlich und wenn er es unterwürfig genug darbot. Glikmann riet ihm, mehr Filmmusiken zu schreiben, mit reichlich peppigen Chornummern; wir wissen alle, wem das gefallen würde! Und wenn möglich solle er das alles, sozusagen, nicht so persönlich nehmen.
Obwohl er nun offiziell als »der Volksfeind Schostakowitsch« bekannt war, erlaubten die »Organe« ihm, eine Datscha bei Luga anzumieten, denn es war nicht ihre Art, immer denselben Ton
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