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liegt im Klang, Genosse Alexandrow! Natürlich, fuhr er fort, und sein leicht scherzhaftes Grinsen verzog sich fast ins Grimassenhafte, verfüge ich nicht über das Ohr eines Schostakowitsch …
Er war in den unterirdischen Bunkern von Poznán; er filmte die verrückten alten Männer des Volkssturms und die Deutschen, die sich in Heuhaufen versteckten, als wir kamen; schließlich war er mitten im belagerten Berlin, das, in den Worten W. I. Tschuikows, Unmengen von todbringenden Geschossen auf uns herabregnen ließ.
23 Er filmte die Eroberung des Reichstags.
Am Adolf-Hitler-Platz gab es eine halb ausgebrannte Wohnung voller Bücher, auf denen unsere unangekränkelten Rotarmisten fröhlich herumtrampelten und die sie zerfetzten. Karmen nahm einen in Leder gebundenen Band aus dem Regal, schlug ihn auf und las in sarkastischem Tonfall vor: Er hörte Kunde sagen, wie eine schöne Maid bei den Burgunden wäre, nach Wünschen wohlgethan, von der er bald viel Freuden und auch viel Leides gewann. – Perverser bourgeoiser Müll! Ich will es wegwerfen, Roman Lasarewitsch! – Und die gesunden, sonnengebräunten jungen Kader begannen, alle Seiten aus dem bösen alten Buch zu reißen, und lachten dabei wie spielende Kinder. Karmen aber kniete sich hin, rettete eine zerrissene Seite und las im Stillen: Mit mancher Kurzeweile man nun die Zeit vertrieb; nur zwang ihn ihre Minne, die schuf ihm oftmals Noth: Darum hernach der Kühne lag zu großem Jammer todt.
24 – Ihm war nicht wohl; er wusste nicht warum. Immerhin, dies war interessanter, als industrialisierte Nahrungsmittelzubereitungsprozeduren auf unserem Großen Staatsgut aufzunehmen.
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Und nun zu seiner berühmtesten Leistung: Als im Sommer '42 die Schlacht um Stalingrad begann, zog es Roman Karmen natürlich dorthin. – Um Paulus besiegt zu sehen!, lachte er. Der Traum jedes russischen Soldaten …
Obwohl die entscheidenden Sequenzen von Warlamows sieben Filmrollen langer Dokumentation »Stalingrad« von ihm stammen, findet diese Leistung in der Großen Sowjetischen Enzyklopädie, die sein Leben
in den Bänden 11, 12 und 19 würdigt, seltsamerweise keine Erwähnung. – Lauf zum Kaufhaus!, riefen die Stabsoffiziere, die alle seine Freunde waren. Und so gelang es ihm, mit der Kamera in der Tür zu stehen, als Feldmarschall Paulus sich ergab (oder, besser gesagt, als diese Prozedur offiziell nachgestellt wurde). Er hatte sich schon dadurch ausgezeichnet, dass er bei der Verteidigung Stalingrads zahllose Risiken auf sich genommen hatte, und war uns sehr wohl aufgefallen. Jeden Tag hatte er einen neuen Witz auf den Lippen: Schon gehört, was Rokossowski gesagt hat? Du darfst Paulus als Erster aufnehmen, wenn du ihn gefangen nimmst! Grinsend richtete er seine Kamera auf die anrollenden Panzer! Er suchte die Gefahr. (Wir sehen ihn im Profil, in Rotarmistenuniform mit Barett, wie er die Kamera hebt, seine Maschinenpistole mit dem Argusauge, und sie nach oben in die Ferne richtet, parallel zum langen Geschützrohr des T-34-Panzers neben sich; hinter ihm die Ruinen des Traktorenwerks »Roter Oktober«.) Obwohl der Vormarsch des Feindes (musikalisch unterlegt mit dem Rattenthema aus Schostakowitschs 7. Sinfonie) vor allem durch erbeutetes deutsches Filmmaterial wiedergegeben wird, stammen viele der waghalsigsten Aufnahmen aus Stalingrad von Karmen: Der schreiende Soldat, den Mund mit seinen vielen Zähnen aufgerissen, bis er so groß und rund ist wie der Helm, die dunkel gekleidete Frau vor den verschneiten Ruinen, die unscharfen Rotarmisten, die ihre Gewehre mit den aufgepflanzten Bajonetten schwenken, und dann der Feind, der direkt auf uns zukommt, näher und näher, bis die Mündungen seiner Waffen die ganze Leinwand ausfüllen. Kein Wunder, dass eine Trittbrettfahrerin diesen Film einfach und heroisch im besten Sinne des Wortes nannte.
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Roman Karmen war es, dem man alle Blechbüchsen mit dem Filmmaterial anvertraute, für jenen Sonderflug vom 2. Februar 1943. Es war noch dunkel, als die Schturmowik abhob; im Nordkessel würden sich die hungernden Faschisten des 11. Korps erst um 16:00 am Nachmittag ergeben, aber es war eindeutig vorbei. Karmen konnte nicht aufhören zu lächeln! Er wollte in der grauen Schamesröte eines Moskauer Wintermittags Elena küssen und mit ihr schlafen, aber Elena war nicht zu Hause. Also feierte er im Zentralen Wochenschau-Atelier mit seinen Kollegen, die ihm alle um den Hals fielen. (Im Atelier sehen wir ihn mit vielen Filmspulen
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