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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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KZ . Aber ich vertraue Ihnen. Als unsere Truppen in Polen einmarschiert sind, war der casus belli ein polnischer Angriff auf einen grenznahen deutschen Radiosender. Nun, dieser Angriff war vorgetäuscht. Die Propagandaorgane haben die Munition gestellt, die Uniformen und die Leichen. Sie waren tot. Aber wie und warum sie umgekommen sind und wer sie waren, nun, der Tod spielt nicht immer mit offenen Karten …
    Das weiß ich, Wilfried Karlowitsch.
    Gut. Urteilen Sie einfach nicht zu rasch. Mehr verlange ich ja nicht. Lassen Sie sich nicht von Vermutungen bremsen, die man nicht überprüfen kann. Natürlich sind Tausende von russischen Kriegsgefangenen auf dem Transport erfroren. Aber ich kann Ihnen versichern, mein lieber General Wlassow, dass uns im vergangenen Winter die eigenen Soldaten in den Lazarettzügen erfroren sind! Bedenken Sie nur die Bedingungen, unter denen unsere beiden Armeen kämpfen müssen! Das gemeinsame Leid sollte uns einander näherbringen …
19
    Wlassow wollte unbedingt, dass Strik-Strikfeldt eine gute Meinung von ihm hatte. Sie mussten einander vertrauen. Wlassow hatte die Chance, für etwas zu kämpfen, woran er glaubte. (In seiner Lage hatte man die freie Wahl: Tod von den Händen der Faschisten oder in unseren Hinrichtungskellern.) Er konnte nicht zu viele Bedingungen stellen. Als er sein Unbehagen an der Art der Behandlung so vieler Russen zum Ausdruck brachte, antwortete sein neuer Freund: Manches daran mag durchaus wahr sein. Aber ich schwöre Ihnen, der Führer ist ein nachgiebiger Mensch. Wir können ihn umstimmen.
    Wlassow wollte gerne glauben, dass Strik-Strikfeldt so etwas nie gesagt hätte, wäre es nicht von höchster Stelle abgesegnet worden. Der Mann gehörte zu jener Sorte Mensch, die Chruschtschow in seinem privaten Sprachgebrauch »Menschen auf Zeit« nannte – reiche und mächtige Leibeigene, die von ihren Herren jeden Augenblick in die Grube geworfen werden konnten.
20 (Chruschtschow hatte natürlich die Günstlinge Stalins im Sinn. In unserem Großdeutschland gibt es solche Risiken nicht.)
    Tatsächlich sind viele von uns in einer ganzen Reihe wichtiger Fragen anderer Meinung als Berlin! Und ich möchte, dass Sie darüber nachdenken, General Wlassow. Wenn ich Russe wäre und erklären würde, dass ich anderer Meinung bin als Moskau, was, glauben Sie, würde aus mir werden?
    Und so wurden seine Skrupel in einem konzentrischen Angriff zermalmt.
    An jenem Abend brachten die musikalisch Begabten unter den Insassen Wlassow ein Ständchen, auf von den Deutschen beschafften Balalaikas.
    15
    Er träumte, dass er wieder vor den abgeschlachteten Bäuerinnen in dem verkohlten Gras stand, wo die Geco-Patronenhülsen glitzerten, aber diesmal war er klug genug, sich zu bücken, um ihnen sanft mit einem schwarzen, in den Fluss getauchten Schal das Blut aus den Gesichtern zu waschen; und kaum hatte er dies getan, wurde ihm klar, dass das Blut nicht einmal ihres war; unversehrt und unbefleckt schlugen sie die Augen auf, erhoben sich und küssten ihn eine nach der anderen auf die Lippen.
    16
    Er wurde wieder ins Büro des Kommandanten beordert, und Leutnant Dürksen bat ihn um seine Unterschrift unter ein Propagandaflugblatt, das die sowjetischen Truppen aufrief, sich zu ergeben.
    Wlassow erwiderte: Als Soldat kann ich nicht von anderen Soldaten verlangen, ihre Pflichten zu vergessen.
21
    Dann werden wir den Teil streichen, der sie zum Desertieren aufruft, erwiderte Dürksen eifrig.
    Wlassow unterschrieb.
    Am 10.9.42, als die 6. Armee von General Paulus in Stalingrad eben in Schwierigkeiten geriet, warfen die Deutschen über den Linien der Roten Armee Flugblätter ab, die sie zum Desertieren aufriefen. Diese Flugblätter trugen Wlassows Namen.
    17
    Am 17.9.42 installierten die Faschisten ihn auf Empfehlung Leutnant Dürksens in der Propagandaabteilung in der Berliner Viktoriastraße. (Stellen Sie sich diese, Leser, als motorisierte Brigade im dritten Glied zur Ausnutzung von Durchbrüchen vor.) – Sie mögen sich hier im Altreich ein wenig eingezwängt vorkommen, hatte Strik-Strikfeldt ihn gewarnt. Hier geht es strenger nach dem Gesetz zu als in den besetzten Gebieten – man wird stärker behindert, sollte ich sagen. Was die Männer im Amt angeht, die kenne ich nicht sehr gut. Wenn Sie irgendwelche Schwierigkeiten haben, einfach anrufen, alter Freund. Ich werde Sie nicht im Stich lassen …
    Wann werde ich Hitler treffen?
    Oh, er ist gerade sehr mit der Frage beschäftigt, wie

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