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halten.
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Oh, das hat er gesagt? Hm. Vielleicht war er für die heutige Zeit nicht skrupellos genug. Wie auch immer, ihr habt ihn erschossen.
Ich war nicht am Abzug, Herr Leutnant!
Natürlich ist nie ein bestimmter Mensch am Abzug! Aber existiert
Stalin wirklich, oder ist er nur die nützliche Projektion eines verjudeten Haufens?
Er existiert sehr wohl. Ich bin ihm begegnet. Sie sagen da sehr merkwürdige Dinge, sagte Wlassow mit einer Art verärgerten Stolzes. Und wenn ich das sagen darf, noch haben Sie Russland nicht erobert.
Nun kommen Sie schon. Vielleicht halten Leningrad und Moskau noch sechs Monate lang durch, aber was dann? Sie haben selbst so geredet, das ist bekannt! Der größte Teil ihrer Elite ist niedergemacht worden, lange bevor wir gekommen sind. Sie können sich glücklich schätzen, Herr General, dass Sie rechtzeitig in Gefangenschaft geraten sind, um gerettet zu werden …
Was wollen Sie wirklich?
Wir wollen eine Demokratie der Besten, eine Gesellschaft mit Freiheit und Gleichheit für alle Aristokraten, damit sie dem Staat ihr Bestes geben.
14 Stellen Sie sich ein Offizierskorps vor, das frei schalten und walten kann! Keine Säuberungen mehr …
Und der Rest?
Sklaven natürlich. Für den Augenblick sind wir auf sie angewiesen, ihrer Produktivkraft wegen. Später, wenn Roboter ihre Plätze einnehmen können, werden wir sie nicht mehr benötigen.
Sie wollen sie ausrotten?
Natürlich nicht. Wir werden sie an unseren Errungenschaften teilhaben lassen, solange sie bedingungslosen Gehorsam üben. Die Maßnahmen, die der Krieg uns aufzwingt, dienen einfach der Selbstverteidigung.
Ist es wahr, dass Sie die Juden alle erschießen?
Propaganda! Sie werden in Arbeitslager umgesiedelt, um unsere Kriegsanstrengungen zu unterstützen. Aber verschwenden wir unsere Zeit nicht mit Gesprächen über dieses Ungeziefer …
Wlassow zögerte. Dann huschte ihm ein bitteres Lächeln über das Gesicht. Er fing an, ein gewisses Andenken zwischen den Fingern zu drehen, immer wieder: Geco, 7,65 Millimeter.
Am Ende konnte er sich nicht zu einer Zusammenarbeit mit Leutnant Dürksen überwinden, dessen Attacken auf seine ethischen Abwehrstellungen es an Tiefe gemangelt hatte. Sie waren auf vulgäre Weise geradlinig gewesen. Aber auf das Drängen des Oberst Bojarski hin verfasste er ein Schreiben direkt ans Reich und bat um Erlaubnis, eine au
tonome Nationale Russische Armee aufstellen zu dürfen. Es soll nach dem Eingang von den Behörden an den Rändern mit Ausrufungszeichen verziert worden sein.
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Schließlich entsandte die geheimnisvolle Organisation Fremde Heere Ost einen der Ihren, einen gewissen Hauptmann Wilfried Strik-Strikfeldt, der im Wlassow-Spiel eine entscheidende Rolle spielen sollte – er mag sogar wichtiger gewesen sein als Wlassow selbst. Zufällig war Strik-Strikfeldt ein Baltendeutscher, der die Universität von St. Petersburg besucht hatte. Unser Führer lehrt, dass das Blut zum Blute findet, und in diesem Fall brachte die Rassenverwandtschaft das Unternehmen tatsächlich mit auf den Weg. Mit seinem schiefen, halb skrupellosen Lächeln, seinen fröhlich zusammengekniffenen Augen und der sauberen hohen Stirn, seinem militärischen Bürstenschnitt und den nackten Ohren war Strik-Strikfeldt ein wirklich gutaussehender Mann. Wlassow mochte ihn auf Anhieb.
Hellwach saßen sie einander an einem langen Tisch auf Stühlen aus krummen Birkenästen gegenüber und genossen die Julitage auf der staubigen Ebene von Winniza. Neben jedem von ihnen saß ein deutscher Offizier, die Uniformmütze auf dem Kopf, und am Nebentisch, durchaus in Hörweite, saß dann ein Deutscher mit Sonnenbrille, der so tat, als würde er Zeitung lesen, während eine Stenotypistin alles mitschrieb. Hinter ihr erstreckten sich in verschlafener Stille die Kasernen im Blockhaus-Stil, rundherum der Wald.
Strik-Strikfeldt fühlte sich schon wie ein frischgebackener amerikanischer Millionär. Dieser russische General war anständig, intelligent, kompetent und würde sich willig von jemandem leiten lassen, der Dürksens Fehler vermied. Wlassow sprach ganz offen, hielt er in seinen Memoiren fest, und ich tat es ihm nach, soweit mein Diensteid es zuließ.
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Wie seltsam das Leben doch spielt!, sagte er. Ich habe in der Kaiserlich Russischen Armee gekämpft und nun diene ich im deutschen Generalstab. Manchmal bleibt mir fast die Luft weg …
Wlassow lächelte traurig und beäugte den lyraartigen Besatz auf den Kragenstücken
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