Europe Central
georgischer Offiziere, unter denen nicht weniger als zehn Erbprinzen
»in glitzernden Uniformen« waren, wie das Kriegstagebuch der Brigade festhält. Plötzlich waren Pistolenschüsse zu hören. Die Engländer befürchteten einen Überfall, aber es stellte sich heraus, dass zwei der Prinzen sich wegen eines Ehrenhandels duellierten. Das Eintreffen der Befehlshaberin vergrößerte die Verwunderung der Sieger noch, einer wunderschönen Dame mit hohen Backenknochen, in Hirschlederhosen, die herangaloppiert kam und ihre Männer beschimpfte, weil sie sich dem Feind ohne Befehl ergeben hatten. Sie sprang vom Sattel und stellte sich als Tochter des Königs von Georgien vor. (In unserer georgischen Sowjetrepublik, zufällig Geburtsort unseres Genossen Stalin, gab es natürlich keine Könige mehr.) All diese großen Helden gaben sich als vollwertige Angehörige der Wlassow-Armee aus. Wlassow, erklärte die Prinzessin, habe Georgien die Unabhängigkeit garantiert …
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Die Rote Armee hatte inzwischen Schlesien eingenommen, die Amerikaner standen am Rhein, und Wlassow ließ den Blick aus seinem verzerrten alten Gesicht, das an der Last der Hornbrille zu tragen hatte, über den Horizont schweifen. Seine Russen stießen einander an, wenn sie ihn sahen, und machten einander Hoffnung, die sie dringender brauchten als warme Suppe: Da geht unser General! Es heißt, er hat das Ohr des Führers … – Munition, Lagekarten, absurde Befehle, opferbereite Angreifer als Schattenrisse vor den verschneiten Feldern, all das konnte ihm nicht weiterhelfen. Was auch passierte, er würde sich auf verkürzte Linien zurückziehen müssen.
Er erbat sich ein Exemplar des berühmten Panzer-Handbuchs von Guderian, bekam aber zu hören, dass er sowieso keine Panzer bekommen würde … Er antwortete: Selbst unter den Bolschewisten durfte ich dieses Buch haben!, und sie zuckten die Achseln.
Hinter zwei in einen Haufen Schnee und Matsch gesetzten Maschinengewehren kam ein Leutnant der Waffen-hervor, stellte sich zu Wlassows Männern und sagte in Wlassows Hörweite: Ha ha! Jetzt bin ich froh, dass wir euch nicht erledigt haben! Ihr wisst, für Deutschland kämpfen zu dürfen ist eine Ehre.
In der Nacht vom 13. auf den 14.2.45 verbrannten die Briten und die Amerikaner bei einem Brandbombenangriff auf Dresden fünfunddreißigtausend Menschen, die meisten davon Zivilisten. Das ließ die Leistung der Nazis in Babyn Yar ein wenig besser aussehen; dort waren nur dreiunddreißigtausend Juden mit Maschinengewehren niederge
mäht worden. Goebbels schlug vor, für jedes Opfer einen alliierten Kriegsgefangenen zu erschießen. Als jemand Wlassow davon erzählte, antwortete er: Kroeger verführt mich täglich zum Trinken. Wenn er glaubt, mich auf diese Weise in der Hand zu haben, dann irrt er sich. Ich sehe alles, und ich höre alles …
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Nicht lange darauf erhielt er endlich seinen Marschbefehl, zog los und führte seine schlecht ausgerüsteten Männer in den Schnee; ein Panzergeschütz über ihnen wies ihnen den Weg. Er würde tun, was er konnte. Sie erinnerten ihn an seine zum Untergang verurteilten Sibirer im Wolchow-Kessel, die mit Panzerbüchsen gegen die Faschisten kämpften. (Er lief zweien seiner hungrigen Männer über den Weg, die sich um eine verfaulte Kartoffel stritten, und sagte: Wir können Stalin nicht mit offenen Händen besiegen, nur mit geballter Faust. Zusammenhalten, Jungs! – und sofort vertrugen sie sich und blickten ihn ehrfurchtsvoll an.) Würde er seinen Erfolg von damals in der Schlacht um Moskau wiederholen können? Wieder und wieder erzählte er seinen-Führungsoffizieren, wie seine Durchbruchs-Staffelung die faschistische Heeresgruppe Mitte zurückgeworfen hatte. Sie feixten nervös und wärmten sich die Hände in den Taschen; denn selbst sie konnten sehen, dass er zum Gespenst seiner Redlichkeit sprach, die ihn, braunäugig und blass, das Fühlen gelehrt hatte.
Wieder erleuchtete eine Katjuscha-Rakete die Nacht mit Schreckenssplittern, dieser Wlassow aber sagte: Einmal hat der Genosse Stalin persönlich mir eine Division gegeben, die völlig am Ende war. Na, als ich mit denen fertig war, haben wir einen Preis gewonnen!
(Wo war das noch gleich? Hände und Lumpen hingen aus dem qualmenden Scheiterhaufen herab.)
Sie schickten ihn in eine Zone mörderischer Ausweglosigkeit. Wenn er all seine Männer »verbrauchte«, würde er den Feind nur ein paar Stunden aufhalten. Genauso gut hätte er mit allen nach Auschwitz
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