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24 In Stalingrad konnte man unmöglich in Bewegung bleiben.
Man könnte in diesen Straßenkämpfen überhaupt einen falschen Einsatz sowohl seiner eigenen, als auch der Fähigkeiten der von ihm befehligten Armee sehen. Für Paulus, der zusah, wie der Sommer vergeudet wurde, was ihn besorgt und wütend machte, wäre es, um das Mindeste zu sagen, ein Trost gewesen, diese Ruinen hinter sich lassen zu können und wieder gen Osten oder Südosten zu ziehen, über die goldenen Steppen (deren am weitesten verbreitetes Kraut die Artemisia pauciflora zu sein schien), und in fairem und offenem Kampf feindliche Truppen zu vernichten. Und der Gedanke, er hätte stattdessen nach Afrika gehen können! (Lass die Finger davon!, hatte Coca gesagt, mit dieser Miene, die er so fürchtete.)
25 Persönlich hielt er sich gern auf einem schmalen Grat zwischen Feldmarschall von Kluge, der sein Panzerkorps gern an der kurzen Leine hielt, damit es jede eingekesselte
Truppenansammlung auslöschen konnte, und General Guderian, der es lieber nach vorn schickte, um die russischen Linien zu Hackfleisch zu verarbeiten, als Festmahl für unsere Infanterie, unsere blonden braungebrannten Jungs.
Er zündete sich eine Zigarette an und erbrach das Siegel des militärischen Lageberichts. In zehn Metern Entfernung lag, weiß der Himmel warum, die Leiche eines ukrainischen Beamten in altmodischen Samthosen. Erst Beethoven, dann Bach. Fremde Heere Ost, Gruppe I , Heeresgruppe B verständigte ihn, ein Angriff auf seine tiefe Flanke könne zwar nicht ausgeschlossen werden, genauso wenig wie ein isolierter Angriff auf die von unseren Verbündeten schwach befestigten Brückenköpfe, aber die russische Winteroffensive werde, wenn überhaupt, hoch im Norden erfolgen, im Gebiet der Heeresgruppe Mitte – am wahrscheinlichsten in der Gegend von Moskau. Die Abwehr, deren Organisation Max in Sofia ungehinderten Zugang zum Feindfunkverkehr hatte, bestätigte diese Informationen. Er glaubte es weder, noch glaubte er es nicht.
Am 12.9.42 trug er Hitler, der aus der Wolfsschanze nach Osten ins Führerhauptquartier Werwolf gezogen war, gleich nördlich von Winniza an der Straße nach Berditschew, in Begleitung von General Weichs seine Besorgnis wegen der Enge seiner Front persönlich vor. Leider konnte er zu dieser Zeit kaum erwarten, dass man ihm Priorität einräumte, nicht nur weil der Führer ihn, wie er sehr wohl wusste, eher mochte denn liebte, sondern auch weil an der gesamten Ostfront, wie Warlimont flüsterte, eine Pattsituation eingetreten war. Er wollte vor niemandem, weder vor seinen Untergebenen noch vor dem Führer, den Eindruck erwecken, dass er die Dinge zu ernst nahm, denn das konnte sein Ansehen nur schwächen; dennoch war dem Unternehmen Nordlicht, wie vermutlich selbst Feldmarschall Keitel zugeben musste, die Bändigung Leningrads, das wir nun schon ein Jahr lang belagert hatten, nicht gelungen; und sein eigenes Unternehmen Fischreiher hatte keine eindeutigen Ergebnisse gebracht; das Unternehmen Edelweiß schließlich war im Kaukasus festgefahren. Der größte bisherige Sieg dieser Offensive, die Eroberung von Maikop, war uns in den Händen zerronnen, denn als die Heeresgruppe A in die Stadt rollte und klapperte, hatten die jüdischen Bolschewisten ihre Ölraffinerien vor dem Rückzug völlig zerstört. Der Führer soll tief enttäuscht gewesen sein, da unser
Ölbedarf immer rascher wuchs. Trotzdem ging es dem Feind zweifellos schlechter als uns; er hatte inzwischen achtzig Prozent seines Öls eingebüßt. Die Treibstoffströme erst unterbrechen, dann an sich reißen; so lautete der Plan des Falles Blau.
Wie wir alle, erhielt sich auch General Paulus einen gewissen Rest an Vertrauen in die eigene Tüchtigkeit. Damals im Dezember 1940 hatten seine Planspiele unsere Truppenstellungen vor Moskau im Oktober 1941 exakt vorhergesagt. Feldmarschall von Reichenau persönlich hatte ihn zu seiner Akkuratesse beglückwünscht. Das musste doch etwas heißen. Dann waren da noch sein Eisernes Kreuz, Erster und Zweiter Klasse, aus dem vorigen Krieg, sein Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes für Charkow und sein Posten als befehlshabender Offizier der 6. Armee. Im Dezember 1940 sagte er außerdem vorher, dass das Unternehmen Barbarossa länger dauern könne als einen einzigen Sommer. Der Führer hatte einen Wutausbruch erlitten und gebrüllt: Es wird keinen Winterfeldzug geben!
26 – Das war also ein wunder Punkt für die beiden. Paulus durfte das Wort
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