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Feldmarschall von Reichenau habe schon immer gern nach Rio de Janeiro reisen wollen, und Paulus, der sie von Gedanken an den Toten ablenken wollte, den sie bestimmt alle vermissten (nie hatte von Reichenau Paulus'
Geburtstag vergessen), antwortete mit einem freundlichen halben Lächeln: Meine Herren, der Brasilienfeldzug wird sich gewiss lohnen. – Generalmajor Schmidt lachte zwei Mal, ha ha , die anderen lachten länger; dann schenkte die Ordonnanz allen Veuve Clicquot ein, in winzige Gläser aus böhmischem Bleikristall, worauf sie alle früh schlafen gingen, denn am kommenden Morgen würde es hektisch werden; die zwölfhundert Bomber und Tiefflieger des IV . Fliegerkorps sollten planmäßig in Stalingrad eintreffen, und als sie dort waren, töteten sie vierzigtausend Menschen und ließen in rotem Dunst die Gerippe von Wohnblöcken zurück, oh ja, rot wie Kosakenhosen leuchteten diese Leichen auf ihren Sockeln aus geborstenem Stahlbeton. Der Feind brüllte per Funk: Woksalnaja-Platz, Demostrazii-Platz … Unterdes nahm die 6. Armee schon das Amtsgebäude des Bezirkssowjets unter Beschuss.
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Am 31.8.43 war die Stadt fast eingekesselt. Den größten Teil der sowjetischen 62. Armee hatte er schon abgeschnitten. Alles war nur noch eine Frage der Zeit und der Kampfkraft. Dennoch sprach sich General von Wietersheim aus irgendeinem Grund für einen Rückzug aus Stalingrad aus. Daran, was der Führer dazu gesagt hätte, musste man keinen Gedanken verschwenden. Er zündete sich eine Zigarette an, enthob General von Wietersheim unter größtem Bedauern umgehend seines Postens und ersetzte ihn durch Generaloberst Hoth. Bei der nächsten Stabsbesprechung erwarteten seine stattlichen und geschmeidigen Offiziere mit den blitzsauberen neuen Mützen und perfekt gebügelten Manschetten Zeitung lesend seine Anweisungen; über die Sache von Wietersheim fiel kein Wort, nur Generalmajor Schmidt hieß die Entscheidung gut und schickte sich an, seiner Zustimmung ausführlich öffentlichen Ausdruck zu verleihen, bis Paulus sagte: Er wollte ohne Zweifel seine Pflicht tun, Schmidt, so wie er sie verstand. Das wäre dann alles. – Seine Angriffsspitzen durchbrachen im Abschnitt Wertjatschij-Peskowatka die Front, unmittelbar vor jedem Angriff jaulten die Stukas und warfen ihre Bomben ab. Am 2.9.42 dekretierte der Führer, dass vor seiner Einfahrt in diese lästige Stadt alle männlichen Einwohner zu liquidieren seien, vorzugsweise durch Erschießen, und alle Frauen zu deportieren. Dieser Befehl gefiel Paulus nicht. Man würde ihn sowieso
nicht sofort ausführen können. Am selben Tag wurde ihm eine weitaus angenehmere Nachricht auf dem Silbertablett überreicht; sein alter Freund Oberst Metz schrieb ihm (verspätet offenbar, und dann schien die Karte noch von der Zensur und Versandproblemen aufgehalten worden zu sein): Ich übersende Ihnen Glückwünsche zum Ritterkreuz. Der Feldmarschallstab wird dann auch nicht mehr lange auf sich warten lassen.
23 Am 3.9.42 wehrte er den schwächlichen Gegenangriff von Moskalenkos 1. Gardearmee ab. Am 5. schlug er sie erneut zurück. Der fortgesetzte Druck des Feindes zwang ihn, einige seiner Truppen in den Nordwesten zu verlagern, darunter seinen Sohn Ernst, der sich in seinem Panzerregiment gut bewährte, wie er gehört hatte. Die sowjetische 62. und 64. Armee hatte er beinahe aufgerieben. Sie sagten ihm: Herr Generalleutnant, Jerjomenko gräbt sich an der Linie G in Verteidigungsstellungen ein …
Am 9.9.42, als der Führer General List zwang, das Kommando der Heeresgruppe A abzugeben, weil er in die Defensive gegangen war, gab Generalleutnant Paulus seinen Plänen für den Großangriff den letzten Schliff. Um 06:30 Uhr am 13.9.42 begann der Sturm auf Stalingrad: erst auf die Linie O, den äußersten Verteidigungsring, dann, in konzentrischer Reihung, auf die Linien K, S und auf G, die innerste, die letzte Bastion. Seine Ordonnanz fragte sich, wann der Fotograf von Signal wohl käme; aber es hatte schon eine schöne Fotostrecke unserer schneidigen jungen Panzergrenadiere in ihren graugrünen Uniformen gegeben, wie sie endlose Halsbänder aus Patronen in die Kamera hielten.
Er fing das Ersuchen der sowjetischen 62. Armee ab, sich auf die Linie G zurückziehen zu dürfen.
Zuerst stoßen unsere Panzer durch die Linien des Feindes, dann drehen sie um, zur Einschließung. (Von der »russischen Krankheit« hatte er sich fast vollständig erholt.) Dann verstärken wir den Ring mit Infanterie. Wir
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