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korrekt und hilfsbereit, da machte es ihnen nichts aus, dass er beten ging. Ein alter Rentner namens Greisler, der, wenn man ihn nach seinem früheren Beruf fragt, etwas von Dieselmechaniker murmelt, singt bis heute Gersteins Loblied: Er hat meinem Neffen geholfen, einen Platz auf einer Adolf-Hitler-Schule zu bekommen! – Wir dürfen die Aussage von Frau Alexandra Bälz nicht überbewerten, die sich erinnert, er habe sie gegen Ende des Sommers '42 besucht; nach seinem Schluchzen, er könne nicht mehr, habe er ihr das Leben mit seinem grässlichen Geheimnis für immer sauer gemacht. (Wenn diedavon erfahren hätte, er wäre auf der Stelle erschossen und seine ganze Familie nach Dachau geschickt worden.) Schon am Abend darauf dinierte er ganz fröhlich mit dem »Schlauen Hans« Günther in einem der Kellerlokale Prags – einem Etablissement, so düster und tief vergraben, dass die beiden Männer das Gefühl hatten, in einem Weinfass zu hocken. Er enthielt sich des Weines und versicherte seinem Vorgesetzten, sich dem Reich unbedingt weiter nützlich machen zu wollen. Wie könne er am besten helfen, die Aktion Reinhardt zum Abschluss zu bringen?
Zuerst hatte ich Zweifel an Ihnen, Gerstein, aber jetzt weiß ich, Sie sind hart wie Kruppstahl! Morgen früh bringe ich Sie nach Theresienstadt. Hauptsturmführer Seidel ist Österreicher wie unser Führer. Ein wirklich stahlharter Bursche! Sie werden beeindruckt sein, wie er die böhmischen Juden übertölpelt. Sogar das Rote Kreuz geht ihm auf den Leim! Es ist Zeit, dass Sie sich seine Methoden aneignen, wir müssen uns nämlich auf Ungarn vorbereiten.
Zu Befehl, Herr Sturmbannführer. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen …
Auch sollten wir den Erinnerungen des Pastors Otto Wehr keine übertriebene Bedeutung schenken, nach denen Gerstein ihm bei ihrer
letzten Begegnung im Herbst 1944 sagte: Alle halbe Stunde kommen diese Zugladungen zum Untergang verurteilter Juden, und die Bilder verfolgen mich …
18 – Bischof Dibelius, der ihn getraut hatte, stöhnte er zu: Helfen Sie! Helfen Sie! Das Ausland muss es wissen! Es muss Weltgespräch werden!
19 – Warum sich mit so traurigen Geheimangelegenheiten belasten? Schließlich wurde doch der Generalplan für den Osten umgesetzt!
Natürlich hatte der Erfolg dieses Planes uns weit über jene schönen Tage hinausgeschossen, als der Kern des Reiches noch voller Juden gewesen war, die, reif zur Ernte, ihren Jägern nicht nur Geld und Wertsachen jener Art zu bieten hatten, über die noch der ärmste Großstadtbewohner unweigerlich verfügt, sondern auch die gemeinsame Sprache, die sich so hervorragend eignete, sie zu quälen. (Man konnte der arischen Frau seiner Beute ins Gesicht spucken und Judenhure rufen, ohne befürchten zu müssen, dass der Mann es nicht verstand!) Aber nun war den Jägern nicht nur die Beute in der Heimat rar geworden, es hatte sich auch ihr Jagdrevier immer mehr ausgeweitet; nun galt es, die fernen Reservate des Generalgouvernements zu plündern, des Reichskommissariats Ukraine (wo Gerstein sich einen güldenen Seidel mit einem Adler auf dem Deckel hätte aneignen können), des Reichskommissariats Ostland, der anwachsenden Landstriche hinter der ostwärts eilenden Front, ganz zu schweigen von Rumänien, Kroatien, Bulgarien, Griechenland, Ungarn, wo die jüdischen Bauern sich über die Jahrhunderte daran gewöhnt hatten, dass man sie verprügelte, ihr Eigentum beschlagnahmte und Pogrome veranstaltete, so dass sie sich still in Gruppen zusammenkauerten, wenn die Jäger sie aus ihren brennenden Hütten trieben; und wenn die Jäger sie verfluchten, blickten die Juden mit großen Augen zurück, als würden sie kein Wort verstehen, selbst wenn die Männer der Einsatzgruppen, nachdem sie Anzeigen für Rosodont studiert hatten, also, die Alten und Kranken auf der Stelle erschossen; selbst wenn sie die jungen Männer abführten, damit sie sich die eigene Grube aushoben, schien die Herrschaft der Jäger auf diesen Gesichtern, blass wie Schreibpapier, keine Spuren zu hinterlassen; schlimmer noch, was gab es da zu mausen außer ein paar Goldzähnen? Die Juden Hollands, Belgiens, Italiens und Frankreichs waren natürlich reicher, aber die wurden meist von der Polizei ihrer Heimatländer geplündert. Und so hatten die deut
schen Jäger das Gefühl, dass es jetzt eng wurde. Manchmal gab es nicht einmal Goldzähne. Das verebbende Judentum konnte ganz austrocknen, so wie es jetzt aussah, wie es da raschelnd in den
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