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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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nun eine andere Frage. Was haben Sie mit der Blausäure vor?
    Das liegt bei Ihnen, Herr Hauptmann, erwiderte Gerstein im schmeichlerischsten Tonfall, den er hervorwürgen konnte. Im Grunde war das hier gar nicht so übel. Alles war besser, als neben Dr. Pfannenstiel zu sitzen.
    Sie werden verstehen, warum ich das vorbringe: Heckenholt und all die anderen verdienen sich ihren Lebensunterhalt bei mir. Was Globocnik angeht, nun, unter uns gesagt, der war schon mal in Schwierigkeiten und will sich nicht abservieren lassen. Keiner von uns will sich hier abservieren lassen, Gerstein. Verstehen Sie, was ich sagen will? Also, ich bitte Sie um Folgendes.
    Zu Befehl, Herr Hauptmann!
    Ich möchte, dass Sie diesen Leuten in Berlin sagen, dass wir keine Neuerungen brauchen, wenigstens in Belzec nicht (Treblinka ist mir scheißegal). Weil die sich eingemischt haben, mussten wir schon auf das Kohlenmonoxid aus Stahlflaschen verzichten, das hervorragend funktioniert hat, das können Sie mir glauben, ganz am Anfang. Die können über Nachschubprobleme klagen, so viel sie wollen. Wir haben alle Nachschubprobleme, so lange wir leben. Gas in Flaschen haben wir bei der Durchführung von T4 benutzt, nachdem die Seelchen beschlossen hatten, dass Erschießungen für Deutsche nicht gut genug sind. Ach, die sollen doch alle zum Teufel gehen. Sagen Sie diesen Arschlöchern in Berlin, dass Dieselkraftstoff Ihrer Fachkenntnis nach geeigneter ist als Blausäure – schneller und sicherer oder was auch immer. Bringen Sie diese Bürohengste dazu, uns in Ruhe zu lassen. Die haben keine Ahnung vom wirklichen Leben. Abgemacht?
    Gerstein war klar, dass jede Stunde, die Heckenholts Motoren versagten, eine Stunde war, die den Mord an den Juden verzögerte; er wusste aber auch, dass seine himmelblauen Blausäurekristalle viel stärker wirkten als Kohlenmonoxid. Er lächelte Hauptmann Wirth mit entwaffnender Offenheit an und sagte: Ich fürchte, die Blausäure hat sich beim Transport zersetzt. Sie ist wirklich sehr instabil. Es geht wohl nicht anders, wir werden sie vergraben müssen …
    Guter Mann! Sie sollen Ihren Teil bekommen, Gerstein. Sehen Sie den Ukrainer da drüben? Ich sorge dafür, dass er Ihnen etwas abgibt.
10
    Nicht nötig, Herr Hauptmann …
    Aber jetzt hatte Hauptmann Wirth Angst, dass Gerstein mehr verlangen würde als eine Einmalzahlung in Judengold. Offenbar hatten sich gleich hinter seinen Rangiergleisen alle Prostituierten Polens eingerichtet, ohne sich um den stinkenden schwarzen Qualm zu scheren, der bei jedem Wetter über Belzec hing; und sein Verbindungsoffizier Oberhauser, der einem gelegentlichen Stelldichein mit irgendeiner Polenmaid von arischem Aussehen nicht abgeneigt war, hatte ihm berichtet, dass sie die Preise immer weiter anhoben, weil die Schätze Belzecs, zumindest aus der Perspektive dieser Sportskameradinnen, unerschöpflich schienen. (Hauptmann Wirth hatte selbst gesehen, wie ein irgendwie blondes Frauenzimmer zwei seiner Ukrainer in eine Art Höhle abgeschleppt hatte, die sie sich in die Haufen aus Judenkleidern hinter dem Lokomotivschuppen gegraben hatte. Dafür hatte er sie bestrafen müssen.) In seiner Furcht wurde Hauptmann Wirth aberwitzig vertraulich, und bald erzählte er ihm, nur aus Jux und Dollerei, von Hadamar, mein Gott, er redet über Hadamar, und später, als Hauptmann Wirth ihn bat, doch wenigstens ein Kilo Butter anzunehmen und dazu noch einen Koffer voller Wyborowa-Wodka (am Ende nahm ihm Dr. Pfannenstiel beides nur zu gerne ab), starrte er ihn weiter lächelnd an, wie von einem grellen Licht betäubt, denn Hauptmann Wirth hatte ihm erzählt, wie er damals, in der großen Zeit der Aktion T4 – eines wirklich notwendigen Unternehmens, wie Gerstein doch sicher wusste, eines schwierigen Vorhabens, einer lohnenden Zeit, eines Vorgehens, das, obwohl alseingestuft, von denselben Christenschweinen aufgedeckt und abgebrochen worden war, denen wir in diesem Krieg die fetten Ärsche retteten –, eigenhändig geistig Behinderte mit seiner Dienstpistole den Genickschuss versetzen musste, weil sich die Methode mit den falschen Duschen erst anno 41 ein Genie ausgedacht hatte. Gerstein fragte mit verständnisvollem Erstaunen, warum man einen Offizier von seinem Rang und seinen Verdiensten bei der Erfüllung seiner Pflicht nicht besser unterstützt habe, worauf Hauptmann Wirth lachend erwiderte, auf so kurze Distanz und mit friedlichen Irren, nicht hartgesottenen Juden als Zielen sei ein Schütze besser als

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