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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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warten.
    Er sagte: Weißt du was, Elena, ich glaube, ich werde warten.
    Sie sagte: Warte nicht.
    Er fragte sie, ob er sie noch am selben Nachmittag sehen könne.
    Was die Sache mit dem sie in die Arme Schließen angeht, sollte ich erklären, dass sie einander ein paar Mal zur Begrüßung umarmt hatten, und einmal hatte sie ihn zum Abschied lange und zitternd gedrückt, was ihn davon überzeugt hatte, dass sie ihn nicht mehr sehen wollte, aber das war nicht so, auch wenn von jenem Tag an offenbar galt, dass sie, sobald er zu einer Umarmung ansetzte, die Arme verschränkte und an ihm vorbeiging. So dass er, ganz krank von dem Gedanken, er könnte sich ihr irgendwie aufzwingen, es nicht mehr versuchte, jedoch ohne zu wissen, wie lange er sich würde zurückhalten können, gleichzeitig aber voller Stolz und Verzückung in der Gewissheit, dass er sich der Umarmungen bis ans Ende seiner Tage würde entschlagen können, wenn sie das denn wollte oder von ihm erwartete. Drei oder vier Tage
darauf nahm er seinen ganzen Mut zusammen und fragte sie, warum er sie nicht mehr umarmen dürfe, und sie strich sich über das dunkle Haar und versicherte ihm, das dürfe er wohl; es sei alles ein Missverständnis gewesen; sie hätte geglaubt, er sei es, der es nicht wolle. Ich kann kaum beschreiben, wie glücklich er da war. Außerdem wurde ihm an jenem Tag das große Glück zuteil, ihr zwei Mal zu begegnen; und beim zweiten Treffen umarmte er sie ganz fest; den Rest des Tages über war er in Ekstase.
    Einmal, als er ihr gestand, wie sehr er sie liebte, antwortete sie: Das tut mir leid.
    (Normalerweise lächelte sie nur leicht und sagte nichts. Sie hörte ihm so geduldig und schweigend zu wie Gott. Aber diesmal hatte er ihr geschrieben, also antwortete sie ihm schriftlich.)
    Er glaubte, es gebe eine einprozentige Chance, dass sie den anderen Mann in zehn oder zwanzig Jahren verließ. Solange es ihm gelang, daran zu glauben, konnte er sich immer wieder freuen.
    Der andere Mann war erklärtermaßen liebevoller, aufrichtiger und anständiger als er. Hätte sie die Grenze überschritten und sich ihm hingegeben, wie hätte sie da noch den hohen Maßstäben des anderen gerecht werden können? Selbst wenn er sich ganz ihr weihen würde, wäre das nicht genug, denn der andere Mann hatte sich ihr bereits geweiht, und der Kummer, den er, der Anbetende, der Frau bereitet hätte, indem er sie dazu brachte, dem anderen Mann Kummer zu bereiten, wäre unentschuldbar gewesen. Also blieb ihm nur, sich ihr so sehr zu weihen, wie die Umstände es erlaubten. Und da diese Umstände vorschrieben, dass er sich ihr mehr oder weniger in ihrer Abwesenheit weihte, betete er darum, dass er verrückt würde, um in einer Welt leben zu können, in der sie immer bei ihm war. Tag für Tag brannte sich ihm seine Liebe für sie tiefer in Brust und Kehle.
    Schriftlich verständigten sie sich in dieser Periode am aufrichtigsten, wie gesagt, auch wenn diese Verständigung zwangsläufig schmerzlich war. Als es mit ihnen vorbei war, korrespondierte er mit ihr nur noch durch die Musik. Er wollte ihr sogar eine Sinfonie schreiben, aber sie erklärte ihm, das Problem sei, dass er ihr schon viel zu viel gegeben habe, nur das eine nicht, das er ihr hätte geben sollen. Er schrieb ihr viele viele Briefe, und sie schrieb ihm drei zurück und verlangte, dass er den letzten davon vernichte, und danach nahm sie seine Briefe entgegen, be
antwortete sie aber nicht mehr; schließlich stand immer wieder nur das eine darin. Ihre Begegnungen, durchsetzt mit Elenas gelegentlichen Geschichten und ihrem mitfühlenden, halb komplizenhaften Schweigen, gaben ihm Gelegenheit, unrealistisch und selbstsüchtig zugleich zu sein. Manchmal vergaß er sogar den Krieg. Wenn er nicht zu traurig oder zu schüchtern war, redete er, zu viel natürlich, aber nur, damit er Ich liebe dich sagen konnte, da sie es ja nie tat. Er blickte ihr verzückt in die Augen. Seine Ekstase wuchs mit jedem Mal, das er sie sah. Dann warf sie einen Blick auf die Uhr und musste fort. Er litt Höllenqualen, bei aller Begeisterung über ihr Treffen, und fragte sie, wann er sie wiedersehen könne; ach, er war verrückt nach ihr.
    Er war wirklich geradezu süchtig nach ihrem Gesicht, und dabei konnte er es sich meistens nicht vor Augen rufen; sein Gleißen war heller als das der Sonne in einer Wasserpfütze, und nur dieses blendende Gleißen behielt er im Kopf; dann, etwas später, da sie sich geweigert hatte, ihm ihr Foto zu geben,

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