Europe Central

gegeben habe?, sagte der Arzt mit Zorn in der Stimme. Daraus habe ich viel über Sie erfahren. Neben anderen Schwächen leiden Sie an krankhaftem Infantilismus. Deshalb müssen Sie ständig mit den Menschen spielen. Sie können nie Verantwortung für etwas übernehmen.
    Was reden Sie denn da? Sie können mich bestrafen, wie Sie wollen! Ich bin bereit. Falls Sie Eheprobleme haben, können Sie Ihrer Frau gerne erzählen, dass alles meine Schuld war. Ich weiß auch, wo das enden wird.
    Mit einem Knall schlug Dr. Gilbert sein Notizbuch zu. Er erhob sich und klopfte an die Zellentür, damit der Wärter ihn herausließ. Er würdigte den Verurteilten keines Blickes mehr, aber als der Schlüssel sich im Schloss drehte, zischte er über die Schulter: Sie wissen nicht, wer Sie sind. Heute Abend werden Sie sterben und wissen nicht einmal das.
    Ich wäre natürlich am liebsten ich selbst, sagte Hagen. Aber irgendetwas bringt mich immer wieder dazu, die Schuld für das auf mich zu nehmen, was Gott getan hat. Und was, wenn dieses Irgendetwas auch ein Teil von mir ist?

In den Berg
    Im Diagramm haben wir die Truppenaufstellungen dargestellt wie die sich nach innen verjüngenden Sofitten eines Bühnenbildes – 1, 2, 3, 4.
    – Sergei Eisenstein, ca. 1942
1
    Wenn der Schlafwandler die Tür hinter sich zuschlug, durfte nichts mehr da sein, nicht einmal die Tür selbst; in den alten nordischen Mythen gehen große Männer, wenn sie sterben, in den Berg, und man kann manchmal aus Erdspalten ihre Stimmen hören; aber nach dem Willen des Schlafwandlers würde es nach ihm keinen Berg mehr geben, keine Stimmen in der Erde, keine Erde mehr und gewiss niemanden darauf, der lauschen könnte.
    Er sagte: Traudl, ob Sie mir wohl bitte den Ordner für das Unternehmen Spirale bringen könnten? Gutes Kind.
    (Wollen Sie wissen, warum das Unternehmen »Spirale« hieß? Die Midgardschlange verschlingt ihren Schwanz, und dann? Wo geht sie hin?)
    Das Telefon läutete. Vier Offiziere hatten zu lange gezögert, die Brücke von Remagen zu sprengen; der Feind hatte den Rhein überquert!
    Erschießen lassen, sagte er.
2
    Das Telefon läutete. Bald würde uns das Ruhrgebiet aus den Händen gleiten.
    Die Kohleschächte fluten, sagte er. Es wird die Juden zwanzig Jahre kosten, sie wieder in Betrieb zu nehmen!
3
    Das Telefon läutete. Der Feind stand vor Düsseldorf.
    Dann brennt Düsseldorf nieder, sagte er. Muss ich denn alles selber machen?
    Das Telefon läutete. Gauleiter Wagner wollte sich den Befehl zur Zerstörung der Wasserwerke von Baden bestätigen lassen.
4
    Bestätigt, sagte er. Traudl, liebes Kind, ob Sie wohl freundlicherweise Tee aufsetzen könnten?
    Das Telefon läutete. Speer hatte Verrat begangen.
    Schicken Sie ihn heute Abend zu mir herunter, sagte er.
    Als Speer kam, stierte der Schlafwandler ihn an und sagte: Ich habe von Bormann einen Bericht über Ihre Besprechung mit den Reichsgauleitern bekommen. Sie haben sie dazu aufgefordert, meine Befehle nicht durchzuführen, und Sie haben erklärt, dass der Krieg verloren sei. Sind Sie sich darüber im Klaren, was darauf steht?
    Speer, den Blick an die Betondecke geheftet, als habe er dort eine Ritze entdeckt, beharrte darauf, der Krieg sei wirklich verloren.
    Wenn Sie wenigstens hoffen könnten, dass wir nicht verloren haben! Sie müssen das doch hoffen!, bettelte der Schlafwandler, denn Speer war sein Architekt. Dann wäre ich schon zufrieden …
    Speer schwieg.
    Sie haben vierundzwanzig Stunden Zeit, sich Ihre Antwort zu überlegen!, rief der Schlafwandler. Und jetzt raus; Sie sind überarbeitet und krank; ich will Sie in meinem Büro nicht mehr sehen!
5
    Das Telefon läutete. Irgendwelche Offiziere wollten wissen, was man in ihren Abschnitten mit den Frauen und Kindern machen solle, nachdem man ihre Häuser zerstört habe.
    Sagen Sie ihnen, der Kampf gegen den in Bewegung geratenen Feind ist auf das Fanatischste zu aktivieren. Irgendwelche Rücksichten auf die Bevölkerung können hierbei zur Zeit nicht genommen werden.
6
    Das Telefon läutete. Die Bauarbeiten an seiner Alpenfestung seien fast abgeschlossen. Schweigend legte er auf.
    Das Telefon läutete. Goebbels wollte ihm versichern, dass die Philharmoniker mit uns allen untergehen würden.
7 Gleichzeitig hörte er in weiter Ferne und über der Erde eine Explosion.
    Sofort nahm er den Hörer und verlangte zu wissen, warum die Russen in der Lage seien, Berlin unter Beschuss zu nehmen. Das Telefon erläuterte, sie hätten unser Rollfeld in