Europe Central

Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann

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Gewändern, aufgelockert nur von den weißen Dreiecken der Handgelenke, die aus den dunklen Ärmeln ragten und in schwarzen Taschen verschwanden. Ich glaubte, den Namen Elena Kruglikowa gehört zu haben; vielleicht war es auch Konstantinowskaja. Ich kniff mich, so fest ich konnte, und merkte, dass ich von einer wunderschönen Frau geküsst wurde. Wahrscheinlich war ich da
schon auf der Twerskaja, in einem jener eiskalten Hauseingänge, in denen sie Holzspielzeug verkaufen.
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    Was war, wird ewig sein. Das ist der wichtigste Trost, wie fadenscheinig er auch sein mag, in religiöser wie mathematischer Hinsicht. Irgendwo tiefer in Russland überlebte der salon de réception von Nikolaus II . mit seinen goldgefassten Wandschirmen und Stühlen, einem schwindelerregend überladenen Teppich, hauptsächlich in Weiß, wie ein Puzzlespiel aus Eisschollen; und an der Wand die Darstellung einer endlosen Militärkolonne – sind sie zu Pferde? – es ist so dunkel hier! … Jemand salutiert; offenbar bei Sonnenuntergang – wahrscheinlich war dieser nunmehr obsolete Empfangsbereich, eine völlig korrekte Entscheidung natürlich, auf einen Eisberg ausgelagert worden. Und diese Frau, die mich küsste, wer es auch war, ich glaubte fest, dass sie immer bei mir bleiben würde, selbst wenn ich sie aus den Augen verlor. Aber für Schostakowitsch würde das nicht gelten, denn, Sie wissen schon … Elena küsste mich, sie küsste mich ! Und wo war sie nun hin? Die Batterie meiner Taschenlampe war alle; ich fing an, mich blind nach Westen zu graben. Der Krieg zwischen Deutschland und Russland war ein Krieg zwischen Lava und Eis gewesen; das Eis hatte gesiegt, aber alles, was das Eis getötet hatte, und alles, was die Lava weggebrannt hatte, befand sich irgendwo in Sicherheit, in Russland nämlich, denn Adenauer hatte bewiesen, dass Russland das kollektive Unterbewusstsein war. Der Großen Sowjetischen Enzyklopädie zufolge, 15. Band, kann die Liebe zu einer Idee, also zu dem, was nicht mehr bewusst »existiert«, die Form einer intellektuellen Ekstase annehmen, die vielleicht nur auf bestimmten kulturellen Ebenen möglich ist, Ebenen, die alle bewacht und eingegrenzt werden müssen, zuerst von der Volkspolizei, dann von der sowjetischen Militärbehörde und schließlich von den Einheiten der Roten Armee an der Heimatfront.
5 Deshalb war der Eiserne Vorhang in jedermanns Interesse.
    Aber selbst damals, als wir unmöglich ahnen konnten, dass er eines Tages fallen und in einem Bleibergwerk in Jekaterinburg eingelagert werden würde, dass die bolschewistisch verseuchten Vorplätze der Schaltstelle Europa voller Schutt, Schädel und mit Brettern vernagelter Paläs
te entweder von kryptofaschistischen Separatisten übernommen werden würden (zu denen ich leider den Westdeutschen NIKA zählen muss, der von 1951 an trotzkistische Organisationen ausspähte, bis er 1974 neutralisiert wurde) oder dem Hotel Astoria in die Hände fallen, wo fröhliche amerikanische Touristen Spitzendeckchen, Holzpuppen, Absinth und Folianten aus der Vorkriegszeit mit auf ihre Zimmer schleppten, roch ich doch schon, dass der Eiserne Vorhang nicht für die Ewigkeit war. Und ich will gerne zugeben, dass mich das traurig stimmte. Die Pyramide einer Flamme (um zu einem verbreiteten Bild aus der Kriegszeit zu greifen) besitzt in jedem beliebigen Augenblick eine spezifische Form und, über die ganze Zeit hinweg, eine allgemeine Form; nur aus Bequemlichkeit nennen wir sie Pyramide; sie schlängelt sich aufwärts, ohne je an ein Ziel zu gelangen, dazu verdammt, in sich zusammenzusinken. Aber ein Eiserner Vorhang würde uns, wenn er nur Bestand hätte, erlauben, uns unseren Weg von Gut nach Böse zu suchen und wieder zurück, selbst wenn wir uns nicht einig werden würden, was was war! Nun, heute ist er verschwunden, wirklich und wahrhaftig, wie die Ikonengeschäfte aus dem St. Petersburg der Vorkriegszeit, und jetzt will ich Ihnen ganz genau erzählen, wie das vor sich ging.
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    Aber erst muss erwähnt werden, dass ich gähnte und mir die Augen rieb, als ich mir meinen Tunnel zurück in meine Zone gegraben hatte, und dass die Sonne hell am Himmel stand, und da sahen sie mich, und die Sirenen gingen los.
    Mit dem Taxi, Gott sei Dank nicht mit der Grünen Minna, brachten sie mich zur Organisation Gehlen zum Verhör; und in einem fensterlosen Raum sagte mir ein ach so bleicher Mann mit dunkler Brille: Sie haben die russische Mentalität angenommen.
    Woran merken Sie das?
    Sie