Europe Central
an den Ring gebunden, der unsichtbar macht …
Schluss mit dem Träumen! Im Jahr 1950 gruben wir einen Abhörtunnel unter dem Eisernen Vorhang hindurch; das war die Operation Gold. Heute graute der Morgen für die Operation Quecksilber. Mit anderen Worten, das Unternehmen ELENKA wird zu seinem eigenen Erfolg mutieren. Ich sprach mir vor: Wir müssen bei unserer Arbeit vom Sieg ausgehen.
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Der nächste Trick: Ich rief ELENKA auf dem schwarzen Telefon an.
Die ganze Zeit über knisterte ich mit einem Stück Zellophan am Hörer, um atmosphärische Störungen zu simulieren, und rief: Genosse Schostakowitsch, hier spricht die Schaltstelle Europa! Sie haben sich umgehend an den Teltowkanal zu begeben.
Aber das ist ja wirklich, also, danke, danke!
Ich knisterte mit dem Zellophan.
Und ob Sie mir bitte genau sagen könnten, wo der, wie soll ich das sagen, dieser Teltowkanal – oh, Entschuldigung, da klopft jemand. Was, wenn das, wie soll ich sagen? Einen Moment bitte, einen Moment!
Und dieser verschlagene Hund legte einfach auf!
Nun, man darf sich nicht unterkriegen lassen. Ich zeigte meinen Pass und begab mich auf legalem Wege hinter den Vorhang, diesmal an der Friedrichstraße, denn ich war Ausländer und dazu noch Diplomat. Ich war ein Ein-Mann-Aufmarsch, der elegant in seine vorgegebene Richtung schwebte.
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Schweigend hüpfte ich zwischen den Tretminen umher, kam an einen ausgebrannten Panzer, duckte mich, atmete tief durch und lugte vorsichtig um die Ecke. Dort arbeiteten Ostdeutsche im Schein von Taschenlampen und schafften auf ihrer Schmalspurbahn Kalkstein aus dem Gehäuse unserer Reichskanzlei. Nun, warum auch nicht? Sie war tot, und ihr halb freigelegtes Gerippe wurde von Hügeln aus ihrem eigenen Schutt und Staub flankiert.
11 Wenn sie doch nur meine letzten paar Einbildungen und Illusionen wegkarren könnten! Ich wollte meine Bestimmung erfüllen, indem ich alles Fragwürdige abwarf. Ich wollte ein vollkommenes Skelett werden. Wenn ich nur die richtige Pille nahm, würde ich gewiss in eine Zone vordringen, in der die Reichskanzlei noch stand, und wenn ich dann durch die Marmorgalerie schritt, die so lang war wie eine Startbahn für Kleinflugzeuge, würde ich mich immer weiter von dieser schönen, neuen Nacht mit ihren Sternbildern aus Roten Sternen entfernen. Leider brachen sie die Marmorgalerie gerade ab. Sie machten Grabsteine für Sowjethelden daraus. Wo wir schon von Illusionen reden!
Die amerikanische Botschaft am Brandenburger Tor hatten sie schon abgerissen. Ich musste lachen; es kam mir so sinnlos vor! Die Volksbühne hatten sie als proletarisches Theater wiedereröffnet. Sie hatten umbenannt, was sie nur konnten. Wir hatten aus dem Bülowplatz den Horst-Wessel-Platz gemacht, also nannten sie ihn Rosa-Luxemburg-Platz. Das hätte ich mir denken können! Aus der Wilhelmstraße wurde die Otto-Grotewohl-Straße, und wer bitte war Otto Grotewohl? Jedenfalls kein Kaiser. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, werde ich sie weiter Wilhelmstraße nennen. Sie verdrängen die verschütteten Gräben ihrer Kriegserinnerungen, indem sie die Zukunft verherrlichen; ich tue dasselbe, indem ich in der Vergangenheit lebe. Und genau deshalb werden wir immer zwei Deutschländer brauchen. (Aber alles ist nur Traum, nur Nichts.) Aus der Dorotheenstraße wurde die Clara-Zetkin-Straße; na, damit kann ich leben; ich habe nichts gegen Frauen, nicht einmal gegen Kommunistinnen. Wenn nur eine von ihnen mich noch einmal küssen würde! Aber Rote haben keine Zeit zum Küssen. Außerdem, wer würde mich schon küssen? Ich bin für beide Seiten ein Verräter und dazu nicht mehr der Jüngste; meine Augen sind eingesunken, also zum Teufel mit dem ganzen Zeug, außer dem einen einzelnen schwarzen Haar, das nicht nein zu mir sagen kann. Die mit Perlen besetzte goldene Kugel mit dem goldenen Kruzifix daran, befestigt mit Bändern aus Gold, hatten sie gestohlen; sie hatten Stalin unsere Krone aus Edelsteinen aufgesetzt; sie hatten ihm unseren gravierten Dolch gegeben und unser goldenes Zepter. Das konnten sie Stalin in den Arsch schieben – oh, eine tolle Laune hatte ich in diesen Tagen! PFITZNER hatte mich wissen lassen, dass sich bei meinen Kollegen langsam Enttäuschung einstellte. Nun, wie sollte ich eine Zielperson neutralisieren, die nicht totzukriegen war? Und überhaupt, was hatte PFITZNER schon zu unserer Sache beigetragen? Er hätte uns wenigstens die Unterstützung eines kleinen neutralen Landes sichern können. Ich
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