Europe Central
Ich war im Land der Träume, also habe ich Elena vielleicht mit Lina verwechselt, die mich vor Beginn des Unternehmens Zitadelle verließ; den Grund vergesse ich immer; manchmal vergessen wir, damit wir, Sie wissen schon.
Nun, da sie ihn jetzt offiziell verlassen hatte, würde es ihr nicht wehtun, wenn ich ihn totschoss. Das Thema, das ich einführen wollte – Entsagung, Elena loslassen, ihr helfen, ihren Idealpartner zu finden, ihren wahren Schostakowitsch –, ließ sich am besten anschlagen, indem ich den falschen Schostakowitsch im Obergeschoss liquidierte.
Die amerikanischen Bomber hatten die vordere Wand dieses Bühnenbildes abgesprengt, also legte ich an und zielte, aber alle Kugeln ver
wandelten sich in schwarze Noten, die ihm direkt ins Herz kreischten!
Ich hätte wissen können, dass es ihm nichts anhaben würde; es gefiel ihm sogar. Als er sich die Augäpfel wieder in den Kopf geschoben und die Brille geputzt hatte, winkte er mir sogar zu; dank meiner hatte er nun neue verzweifelte Dissonanzen für sein Opus 110 gesammelt. Was machte ich falsch? Beim nächsten Mal würde ich dahinterkommen. Es war einfach eine Frage der Zeit und der Kampfkraft. Aber ich wagte keinen Blick zurück, für den Fall, dass Schostakowitsch mich nachäffte oder mir sogar die Zunge herausstreckte.
12
In Westberlin saß ich den ganzen Tag an meinen Vorbereitungen, obwohl das grelle Licht mir in den Augen schmerzte. Fast sehnte ich mich nach der alten Kriegsverdunklung zurück. Vielleicht ertrug ich das Wachbleiben aber auch einfach nicht. Konnte ich es ertragen, so weiterzuleben? Immer versuche ich, nicht grausam zu sein. Auf den Krankenstationen drängen sich die Soldaten ohne Beine oder Augen, egal! Schostakowitschs Musik, na gut. Die NATO ist hier, um uns vor all dem zu bewahren. Aber bis wir unsere Seite der Mauer mit Wachen besetzt haben, werde ich in den Träumen Wohnung nehmen.
Erst der Eiserne Vorhang, dann der Gendarmenmarkt, so würde es gehen. Belgische Nazis, die ihre Lebenserinnerungen an beide Seiten verkauften, um zu überleben, rieten mir, sein Klavier zu vergiften, das würde ihm zusetzen; aber der kleine Spion mit dem Decknamen GREINER , den ich offen gesagt langsam für einen Defätisten hielt, bestand darauf, dass die Sowjets für alles ein Gegengift hätten, sogar für unwillkommene Wahrheiten. Mir graute immer mehr vor der Nacht, und ich wusste nicht warum, denn inzwischen war der Osten mir lieber; ich sehnte mich nach dem Gefühl der Geborgenheit, das mich immer überkam, wenn ich Stalins sternbekröntes Abbild das von betrunkenen Rotarmisten auf der Suche nach Wein halb niedergebrannte Hotel Adlon bewachen sah.
Egal, GREINER hatte mich belehrt, die Organisation Gehlen habe alles Recht, das Unternehmen ELENKA fortzusetzen: Unsere Zielperson (Sie wissen schon, wen ich meine) sei in genau dem gleichen Sinne Pia
nist wie die Angehörigen der berüchtigten Roten Kapelle, die Umgang mit unschuldigen deutschen Frauen pflegten, uns Schwarzmarktware zu Vorzugspreisen verkauften und in unseren Dienststellen in ganz Europa Befehle befolgten; und die ganze Zeit über spielten diese absolut treuen Untergebenen, denen wir auf unsere edle deutsche Weise vertraut hatten, die Rolle Hagens und stießen Siegfried ihre unzähligen jüdisch-bolschewistischen Spieße in den Rücken. Aber halt! Unser Thema waren Pianisten. O ja, sie mieteten sich Wohnungen in Paris, Brüssel, sogar direkt in Berlin; und zu Stunden und auf Frequenzen, die ihnen von ihrer Zentrale vorgegeben wurden, die sie zweifellos Schaltstelle Europa nannten, beugten sie sich über ihre Sender (die wir manchmal nur sehr schwer orten konnten) und spielten unsere verschlüsselten Lieder von der Truppenaufstellung für das Unternehmen Barbarossa, von den strategischen Zielen des Unternehmens Blau, dem Beginn des Unternehmens Zitadelle. Gestapo-Müller war früher einer meiner Freunde. Er sagte: Stellen Sie sich diese Leute alle als dreckige kleine Juden vor, die nachts über ihren Sendern hocken und all unsere liebsten Geheimnisse forttickern! – In Wahrheit ist er nie mein Freund gewesen; da habe ich wohl den Traum eines anderen geträumt. Nicht einmal meine eigenen Lieder konnte ich noch summen.
Ich sage mir immer öfter: Wozu die Mühe? Bin ich nicht längst auf ganzer Linie gescheitert? Ist es nicht besser, wenn ich nicht weiß, wem jene Strähne langen schwarzen Haars gehört? Besonders da ich sie längst verloren habe; ich hatte sie als Talisman
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