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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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Moholy-Nagy immer gesagt hatte: Mir ist nicht danach, mich an dieser Art von optischem Ereignis zu beteiligen.
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    Am Ende wurde ihre Kunst in beiden Zonen verdrängt. Eine vom Kummer überwältigte Mutter mit ihrem toten Kind im Arm ist schön und gut, aber vielleicht ein Quäntchen zu universell – oder, wie der Genosse Stalin sagen würden, inkorrekt. Denn wie könnte man unseren Zwecken dienen, indem man unterstellt, dass jeder, selbst der Feind, um tote Kinder trauert? Viel besser ist da das berühmte Plakat mit der Rotarmistin, die eine Hand in der Hüfte, die andere auf der ordensgeschmückten Brust, wie sie vor einer deutschen Mauer mit lauter Einschusslöchern strammsteht, das Käppi mit dem roten Stern schief auf dem Kopf, damit man ihre Haare sieht (kurz und doch feminin), während sie zur Seite blickt, in die Zukunft! So sehen es die Russen. Auf der anderen Seite müssen wir nur das Diktum unseres Führers zitieren, nach dem die Deutschen – das ist entscheidend – eine geschlossene Gesellschaft errichten müssen, wie eine Festung.
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    [ 11 ]  Im Jahr 1924 hatte unser Gesinnungsgenosse Otto Nagel die erste deutsche Kunstausstellung in der Sowjetunion eröffnet. Käthe Kollwitz war vertreten. Niemand sprach sich gegen sie aus.
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    [ 12 ]  Überraschenderweise gewährte man ihr noch 1939 einen Eintrag in Meyers Lexikon: Sie wurde geboren, erhielt eine deutsche Ausbildung; sie war verheiratet seit 1891. Ihre ausdrucksstarken Blätter sind nicht frei von klassenkämpferischer Haltung (früher z. T. für kommunistische Propagandazwecke verwendet).
61 Das Klopfen an der Tür, wann wird sie es hören? Als es kommt, drei Jahre nach ihrem erzwungenen Austritt aus der Preußischen Akademie, wird die Gestapo ihr befehlen, gewissen pro-sowjetischen Stellungnahmen aus einem Interview mit der Iswestija abzuschwören. Sie fügt sich. Danach wird sie mit Karl halbherzig Pläne schmieden, Gift bereitzuhalten. Karl, dessen Praxis schon zwangsweise geschlossen wurde, wird an Altersschwäche sterben, gerade als die Panzer des Schlafwandlers mühelos in Paris einrollen. Am 23.10.43 wird die Wohnung der Familie von den Amerikanern ausgebombt. Käthe wird in Sachsen sterben, kurz nach dem Brandbombenangriff auf Dresden. Ich zitiere aus einem ihrer letzten Briefe: Ach, Lise, totsein muss gut sein, aber vor dem Sterben habe ich zu große Angst; wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein.
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Du schließest die Tore der Donau
    Gerade da der Tod schon hinter allem sichtbar wird, beunruhigt er mehr die Phantasie. Das Drohende ist aufregender, als wenn man dichter vor ihm steht …, wenn man sich ihm nicht aus der Nähe stellt.
    – Käthe Kollwitz (1934)
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    In unserer heutigen Sowjetliteratur (nationalistisch in der Form, sozialistisch im Inhalt) ist für Epen und antiquierten Schund dieser Art wenig Platz. Und doch findet sich im Igor-Lied aus dem 12. Jahrhundert ein Abschnitt, der mir für meine Zwecke bedeutsam erscheint. Der namenlose Barde wendet sich an Osmomysl Jaroslaw, Fürst von Galitsch, der mir persönlich herzlich egal ist:
     
    Hoch herrschest du auf deinem goldgetriebenen Thronsitz. Deine eisernen Völker stützen die karpatischen Berge und wehren dem König den Weg; du schließest die Tore des Dunai, und deine Riesenheerhaufen ziehn in den Wolken dahin.
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    Es stimmt; er hatte die Tore der Donau geschlossen, und Sie wissen, wen ich meine; Sie verstehen, wofür die Donau steht.
    Der König, dem er den Weg versperrt hatte, blickte gerade einen langen, baumgesäumten Gewehrlauf hinab, dessen Stahl aus eckigen Pflastersteinen bestand; die Gewehrmündung glänzte golden; und durch diesen Gewehrlauf mit seinem Blätterdach kam geradewegs die Legion Condor auf ihn zu und marschierte mit Waffen und Standarten kugelschnell durch die Mündung. Das war ihre Siegesparade. – Ich war nicht dabei. Ich schützte die Tore der Donau.
    Aber meine Beobachter standen am hakenkreuzbewimpelten Brandenburger Tor, als die Legion Condor hindurchmarschiert kam; an jenem Abend läutete das schwarze Telefon, und als ich den Hörer abnahm, fing meine Rote Kapelle an, mir ein Lied zu spielen, nicht Schostakowitsch, sondern Hindemith: Ich schloss die Augen, übersetzte Programmmusik in Bilder und konnte alles sehen: Zuerst kam das Trio aus
drei jungen Kriegern mit finsterem Blick und glänzenden Schaftstiefeln, das Barett schief auf dem Kopf. Der mittlere trug die Standarte, gekrönt von einem Adler mit Hakenkreuz.

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