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vielleicht etwas für mich, Sie wissen schon. Und diese Kinderschauspierin, die Soja als kleines Mädchen gespielt hat, wie hieß sie noch? Es fällt mir gleich wieder ein. War es Katja Skworzowa oder Elena Skworzowa? Elena ist so ein verbreiteter Name; man begegnet ihm ständig.
Er schrieb die Musik für das Kinospektakel »Der Fall von Berlin«, dessen Held der Genosse Stalin war. Roman Karmen war daran nicht beteiligt, er behauptete, zu sehr mit »Das sowjetische Turkestan« beschäftigt zu sein, aber vielleicht hatte er sich auch mit den Schweinen von der Mosfilm überworfen, ich habe nämlich gehört, dass Sie nicht das sagen, was wir hören wollen, so sagte er, und Karmen erwiderte etwas, worauf sie beide in Schweigen verfielen; nun, wirklich sehr freundlich von Ihnen, sich die Mühe zu machen, mein lieber, lieber Roman Lasarewitsch! Danke, dass Sie sich bei Leo Oskarowitsch für mich verwenden wollen, auch wenn, nun ja. Spielt er noch immer Klavier? Und wie geht es – egal, ich wollte einfach, und nehmen Sie bitte meine besten Wünsche entgegen.
Er stimmte der weisen Entscheidung zu, sein neues Streichquartett Nr. 4 nicht zu veröffentlichen, seiner jüdischen Klänge wegen.
18
Sie entsandten ihn als Hauptdelegierten auf das Bachfest nach Ostdeutschland. Er wollte nicht fahren, aber er saß in der Jury. (Er glaubte, ein Rufen zu hören.) Ein Russe sollte gewinnen. Er hatte bereits versprochen, den angemessenen »Klassenstandpunkt« einzunehmen.
Seine Eskorte aus deutschen Kommunisten schlug die Hacken zusammen und salutierte. Sie fragten ihn, ob er etwas brauche. – Danke, danke, aber machen Sie sich bitte keine Mühe, erwiderte er. Die anderen Juroren nannten ihn einen geschätzten Genossen . Er konnte sich noch an die großen und grinsenden Nazis erinnern. Und an die verschwommenen bleichen Gesichter im Winterzwielicht Leningrads, die dunklen Augenhöhlen des Hungers. Er konnte sich an alle Wochenschauberichte erinnern, in denen milchweiße Kinder aufgehängt wurden und die deutschen Faschisten vorher pingelig die Schlingen gerade rückten, damit nichts schiefging. Zum Glück hatte der Genosse Stalin ihren Staatsapparat liquidiert.
Ostberlin war noch immer stark zerstört, des sinnlosen Widerstandes der letzten versprengten Hitlerianer wegen. Dresden sehe schlimmer aus, merkte jemand lachend an. Der Genosse Alexandrow wollte wissen, warum das Bachfest in Leipzig abgehalten werde, wo Leipzig doch die Stadt des Protofaschisten Richard Wagner sei. Schostakowitsch schwieg still und spürte Würmer in seinem Herzen herumkriechen. Er beschloss, Dresden für immer zu meiden. Er wollte das nicht mehr sehen, diese, Sie wissen schon. Berlin, wo wir ja schließlich nur auf Durchreise waren, war ihm egal. Vor Jahren hatte sein Lehrer Glasunow dessen Denkmäler gepriesen, aber deren Herrlichkeit hatte sich längst in etwas Erdähnliches verwandelt. Waren die Zerstörungen in den Westsektoren weniger stark? Nun, warum? Wie nah waren sie? – Gleich da drüben! – Und hatten sie …? Das fragte man besser nicht. Er hatte das Gefühl, als würde er gleichzeitig ersticken und verbluten. Was war das für ein Laut? Er brauchte ein Klavier zum Komponieren. Was war das für ein Laut? Jetzt trommelte er das Allegro molto des Opus 110 mit den Fingern auf den Rahmen des Wagenfensters.
Bach kümmerte ihn auch nicht, damals jedenfalls; über die Jahrzehnte hatte er versucht, so viel wie möglich von Bach, dem Handwerker, zu lernen, der eine Note hinter die andere setzte und dann die dritte perfekt einpasste; aber diese banale Beobachtung erwies sich als
Speerspitze einer Feindseligkeit, die nun die Abwehrlinien seines Geistes durchdrang; es handelte sich dabei um das Axiom jenes mediokren Nazis Paulus, jenes Feldmarschalls, den wir in Stalingrad gefangen genommen hatten; er hatte offenbar gern gesagt: Das ist alles nur eine Frage der Zeit und der Kampfkraft. Nach dieser Regel musste Bach seine Kompositionen aufgebaut haben; so machen wir das alle, und ich, wenn ich …
Bei seiner nächsten Begegnung mit Glikmann fragte er ihn, ob wir Paulus erschossen hätten; Glikmann war sich nicht sicher; vielleicht hatte er die Verlautbarung in der Prawda überlesen. Es war nur eine Frage der … und für den Rest des Tages war ihm Bach vergällt. Was, wenn es keinen Unterschied gab zwischen den Menschen, die Stück für Stück etwas Neues erschufen, und jenen, die Zug um Zug mordeten? Dem würde natürlich niemand zustimmen;
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