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Genie und so weiter, aber über dich selbst weißt du überhaupt nichts. Immer suchst du dir eine Muse, der du nachlaufen kannst, und immer muss es eine dunkeläugige Muse aus der Ferne sein. Jeder andere sowjetische Komponist würde sich über den Erfolg des »Liedes von den Wäldern« halbtot freuen, aber du …
Ich sehe schon, es hat keinen Zweck, dieses Gespräch fortzusetzen, nein nein nein. Ich gehe Lebedinski besuchen …
Sei nicht so kindisch, Mitja. Du weißt, ich liebe dich. Hoffentlich ist dir bewusst, dass ich gewisse Seiten von dir durchaus respektiere. Ich bin dir nur ein ganz klein wenig böse; ich verlange ja nicht, dass du dich änderst. Am Ende wirst du doch mit allen Frauen schlafen, mit denen du schlafen willst.
Entschuldige bitte, aber was soll dieses Gespräch?
Ich weiß auch nicht. Wie du immer sagst, warum seine Zeit verschwenden? Aber wenn du ganz verzückt von deiner kleinen Galischa zurückkommst, die dich übrigens nie heiraten wird, und denkst, dass du es vor mir verstecken kannst, obwohl sie schon ganze zehn Jahre dei
ne Schülerin ist, und wenn dann deine andere kleine Galischa, die du mit mir gemeinsam aufziehst, ganz genau weiß, was los ist, und Maxim auch, und du mir dann auch noch böse bist, dass ich nicht sie bin, sondern ich, und ganz streng mit mir wirst und schweigst, na ja, dann will ich dir vielleicht mal sagen, was du bist.
Also gut, rief er, so bleich und zerquält, dass sie nicht wusste, ob sie ihn schlagen oder in Tränen ausbrechen sollte, was bin ich?
Du bist ein – na ja, linientreu bist du jedenfalls nicht, so viel steht fest! Mein Gott, ein Freigeist bist du, Mitja! Du bist ein Formalist.
15
Möchtest du einen Tee, Dimitrijoscha? Ich könnte dir gleich einen machen. Eine schöne Tasse heißen Tee – das ist sehr behaglich, besonders in einer dunklen, kalten Nacht …
Im Krieg hatte sie in einem Militärkrankenhaus gedient. Auch wenn sie sehr wütend war, wusste sie noch, wie man Kranke pflegte.
Er sagte: Kann die Musik etwas gegen das Böse ausrichten oder nicht?
Bestimmt nicht. Schreien kann sie, mehr nicht.
Er lachte schauerlich. – Du Formalistin , du! Aber ich frage mich trotzdem immer noch nach dem Sinn des Ganzen, wenn es, sozusagen, keinen Zweck hat, dass man …
Ein Ausdruck des Mitleids legte sich auf das Gesicht der Ustwolskaja, der Verärgerung und vielleicht auch des Abscheus; er wurde nicht schlau daraus. Sie sagte: Bitte weine nicht mehr, Dimitrijoscha. Wenn du aufhörst, auf das Unmögliche zu hoffen, dann leidest du nicht mehr so. Für keinen von uns gibt es Hoffnung, ob sie uns nun erschießen oder nicht.
Aber die Hoffnung stirbt zuletzt …
23
Ich habe mir nie Hoffnungen gemacht.
Das zieht sich lange hin, wie Zahnschmerzen. Und dann verfaulen die Illusionen in uns und stinken wie …
Das hast du mir alles schon einmal erzählt. Trink jetzt deinen Tee.
Ich habe gesehen, wie du beim Komponieren deine Teetasse hältst und mit deinen langen weißen Fingern die Wärme umfasst.
Wenn sie einen Orgasmus hatte, erinnerte ihr Mund ihn an ein ge
wisses kleines, rundes Fenster im Kirow-Theater, das ihm immer lieb gewesen war.
16
Im Januar 1949 begann der Genosse Stalin endlich mit seiner Kampagne gegen jüdische Einflüsse. Vielleicht hatte er erst jetzt, nachdem er der Ablenkungen durch die Kriegsjahre mehr oder weniger Herr geworden war, die Zeit gefunden, Mein Kampf zu lesen. Im Februar vollendete Galina Ustwolskaja ihre 2. Sonate, deren trostlose Ketten aus Viertelnoten ihren Liebhaber in Verzweiflung stürzten.
24 Im März wurde Schostakowitsch auf ausdrücklichen Wunsch dieses Schweins als Angehöriger der sowjetischen Friedensmission nach New York entsandt. Vier Tage zuvor war sein gesamtes Werk wieder erlaubt worden. (Wir werden uns mit dieser Sache befassen, Genosse Schostakowitsch. – So hatte Stalin wörtlich am Telefon gesagt. Oje, ach ja, er hatte die Operation, sozusagen, autorisiert!)
25 Und im Komponisten, der fast alles vergessen hatte, außer wie man furcht- und wachsam blieb, keimte plötzlich die Hoffnung, seine Musik könnte, wenn er sich nur gehorsam und gebrochen zeigte, vielleicht wieder aufgeführt werden.
Aber was sollte er bis dahin spielen? Wohl kaum die Begleitmusik für »Lady Macbeth« – das wäre doch ein Witz! Und Opus 40 würde mich nur traurig machen und Elena in Schwierigkeiten bringen. Wie wäre es mit meinem Publikumserfolg? Aber Sie-wissen-schon-wer trifft Vorkehrungen, wie ich der
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