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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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seinen blassen und unbeholfen berauschten Vater herab, den ich lieber ein Kind nennen würde; grunzend nach Wonne verlangend, reitet das Kind sein Steckenpferd Elena. Seine Schulterblätter heben und senken sich so abgezirkelt wie die Hebel eines Pianolas; er kopuliert wie wild! Dieses kurze Motiv drückt ein für Liebende typisches Gefühl aus: Sieh nur, wie lächerlich ich bin im Vergleich zu dir! In der Vereinigung mit dir mache ich uns beide lächerlich! Und dennoch, lass es uns, lass es uns, sozusagen, machen, mein kleiner Liebling Elenotschka, denn du bist die Frau für mich.
    Dann heirate mich, sagte Elena Konstantinowskaja.
    Warum sollte er sie auch nicht heiraten? Nie fand er eine andere, die mit ihm in jenem Haus mit vier Kammern hätte wohnen können, das er in der Brust trug und das sie sehr wohl mit Hilfe trompetenartiger Durchgänge mit den vier Kammern ihres eigenen Herzens verbinden konnten, womit sie geradezu ein ganzes Schloss zur Verfügung hatten, ach, in dem sie Zuflucht nehmen und Geheimnisse miteinander teilen konnten. Und an jenem allerersten Abend nahm er sie mit in die Welt unter den schwarzen Tasten und flüsterte: Meine Grundtonart muss d-Moll gewesen sein, als du, du weißt schon … Und sie verstand. Das tat sie immer. Sie lächelte und nahm ihn in sich auf, nur einen kleinen Halbtonschritt weit, einen Halbton, wollte ich sagen, das ist der Platz zwischen zwei Noten auf jener diatonischen Tonleiter, nach der wir alle leben. Sie war die Einzige!
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    Und so bleibt Opus 40, insbesondere der erste Satz aus Feuerschein und Küssen, das Romantischste, was Schostakowitsch je geschrieben hat. In der Aufnahme mit D. Schafran zehn Jahre später spielte er den Klavierpart und Schafran das Cello; das Cello war so quicklebendig wie Elena selbst, das Klavier so beständig und schillernd wie Schostakowitsch; und auch wenn ich schon angemerkt habe, dass sich Elenas Lied in der Aufnahme von E. Ax und Y.-Y. Ma vollendeter gestaltet findet, war doch schon alles da: Das Klavier war das Skelett; das Cello war das Fleisch; er war das Wissen und das Angedenken; sie war das Leben.
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    Elenotschka, Ljalja wollte ich sagen, oder noch besser, meine vollkommenste aller russischen Ljalkas, dein sind alle Namen! Du bist mein Juwel, ach, wirklich, und ich bin nur ein, ein … für dich möchte ich Raketentechniker sein; ich weiß, du magst Raketen. Leider kann ich nichts anderes als, äh, du weißt schon. Wir müssen eine sehr schwierige Entscheidung treffen, Elena, mit vielen Faktoren, zum Beispiel, nun ja, was, wenn ich nicht der Richtige für dich bin? Denn wenn du mich ver
lässt, werde ich dir das nie verzeihen. Lieber wäre ich der, der … bin ich nicht verachtenswert? Ljalotschka, ich kann nicht mehr schlafen, weil ich immer an dich denken muss! Bitte verlass mich nicht wegen eines Raketentechnikers! Und bitte auch nicht wegen eines Helden! Du solltest dich besser nicht zu tapferen Menschen hingezogen fühlen, die noch viel vorhaben; ich bin nichts als eine Molluske; ich muss mich für alle Zeit in deiner lieblichen Schale verstecken …
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    Die rote Glut, die ihr durch die Haare schien, als sie in Luga am Kamin lagen, dann ihre ungestümen Küsse und sein Mund an ihrer Möse (seine Zunge tastete sich vor, so zart wie die Finger eines wahren Pianisten, gehorchte dem Timbre ihrer Seufzer, um ihr nach Kräften Lust zu verschaffen; kurz, ihre Seufzer waren die Partitur; seine Küsse waren die Aufführung; was auch bedeuten soll, dass seine Küsse die Partitur waren und ihre Seufzer die Aufführung; die Musik war die des Opus 40); und sein Mund auf ihrem Mund, wenn er in sie eindrang, und die überirdische Schönheit ihres Gesichts beim Orgasmus und die Art, wie sie ihn noch lange fest umschlungen hielt, bis sie wegdösten, mit seinem Penis noch in ihr; sie waren noch immer buchstäblich ein Fleisch – grammatisch scheint all dies das Subjekt zu sein (aber lassen Sie das bitte vom Akademischen Genossen Alexandrow überprüfen), erst jetzt kommt das Verb; weil diese verschiedenen Handlungen, Ereignisse und Ergebnisse wie ihre Körper eins geworden sind, ein einheitliches selbstgenügsames Sein, das, wie ein Substantiv, einfach da ist; sie taten, was sie waren; sie waren Liebe; wenn sie seufzte, seufzte sie Ich liebe dich , und dann versteiften sich ihre zarten, weichen Arme, damit sie sich an den warmen Kaminplatten abstützen konnte, und die Seufzer wurden wieder ein unartikulierter Ausdruck der Ekstase,

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