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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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was gewisse Intimitäten angeht (ich habe das alles vorliegen, aber es bleibt in meiner Geheimsammlung), hat uns die folgende Zu
sammenfassung der beiden Rivalinnen hinterlassen: Im Gegensatz zu Nina Wassiljewna, die sich nicht für Mode interessierte, kleidete sie sich elegant, kultivierte Anmut, Damenhaftigkeit und Sinnlichkeit.
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    Und dennoch kehrte er zu Nina zurück – zweimal.
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    Man kann der Chentowa, die von Schostakowitsch gemieden wurde wie der Tod, nicht immer trauen. Ich sage nicht, dass sie im Sold ausländischer Mächte stand; ich sage jedoch sehr wohl, dass ihr Geheimdienst weniger verlässlich war als der meine. Sie behauptet zum Beispiel, unser Komponist sei nicht vor dem Sommer 1934, als eine der privaten Englischstunden in seiner Wohnung mit Küssen endete, Elena Konstantinowskajas Liebhaber geworden. Aber das Opus 40 selbst beweist, dass ihre Liebe im allerersten Satz vollzogen wurde, dem allegro non troppo. Bestimmt ergriffen sie in jenen Weißen Nächten ihre Vorsichtsmaßnahmen. Er hatte noch nicht angeboten, Nina zu verlassen; auch war Elena sich ihrer Liebe zu ihm noch nicht unerschütterlich sicher. Also versteckten sie sich in ihrem Haus mit acht Kammern, wo selbst der scharfe Blick der Chentowa sie nicht erspähen konnte. Sie narrten Mrawinski, Glikmann, Sollertinski, ganz gewiss Nina (vielleicht aber auch nicht) und am eindrucksvollsten Schostakowitschs Mutter, die noch immer sein Tagebuch las, wann immer sie konnte. Ganz in die Tiefe gingen sie, hinunter in den roten Kern, wohin er sechsundzwanzig Jahre später allein zurückkehren sollte, als er das Opus 110 komponierte.
    Ein Pianist erinnert manchmal an einen langsamen Schwimmer unter Wasser, und so schwimmt auch ein Liebender im Meer des Anderen, tief unten, wo keine Welle ihn erreichen kann; über ihm schützt ihn der Flügeldeckel, schwerer als der eines Sarges, vor allen Erschütterungen von außen und markiert gleichzeitig die Grenze zwischen Luft und Wasser. Unter Wasser ist es zu vollkommen; das ist es, was uns umbringt, die Vollkommenheit! (Die Theorie stammt natürlich nicht von mir; ich glaube nicht an Vollkommenheit.) Und das Suchtgift dieser Vollkommenheit war es, das Schostakowitsch mit den Wonnen von etwas Verbotenem überflutete; zum ersten Mal, als er als Junge auf dem Klavier Merkwürdigkeiten spielte, während die anderen einen Foxtrott
erwarteten, und nun erneut, da er Ninas Ehemann war und seine Leidenschaft für Elena ins Spiel brachte. Noch eine Englischstunde, bittebitte, Ljalotschka! Elena verhält sich zur armen Nina wie das Opus 110, das Streichquartett Nr. 8, zur Nr. 1, das der Komponist als besondere Übung in Quartettform abtun wird.
7 Vergib mir, Ninotschka!
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    Als die Scheidung durch war, ging er zu seiner vorigen Muse, T. Gliwenko, und sagte ihr mit traurigem Lächeln: Ich habe eine sehr schlaue Frau, o ja – sehr schlau …
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    Weil er nicht davon lassen konnte, sie zu küssen, standen Elenas köstlich aufgeworfene Lippen als nächster ihrer Körperteile zum Übersetzen an. Im Verlauf der Übersetzung musste er notwendigerweise an ihnen nuckeln. Private Englischstunden, ach je, ach ja! Er konnte nicht davon lassen! Und so küssen Elenas Lippen uns alle immerdar im zweiten Satz. Elenka, Liebste, ich werde, schauen wir mal, ein Moskau-Concerto schreiben, damit wir zusammen nach Moskau reisen können! Und dort werden wir es wieder tun, o ja, Ljalka, wir werden von vorne anfangen und etwas Neues orchestrieren! Denn du bist meine …
    Dann ihr Haar – ihr, wie soll ich sagen, ihr, nun ja, ihr langes dunkles Haar …
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    Gleich hier in der Sowjetskaja Musika, Nummer 3, lehnt ein gewisser D. D. Schostakowitsch Übersetzung in jeder konkreten Form ab. Er benimmt sich wie einer dieser Wichtel, mit denen ich jeden Tag im Amt zu tun habe; sie winseln um Gnade und geben zu, dass sie Trotzkisten sind, aber wenn ich ein detailliertes Geständnis von ihnen will, Taten und besonders Namen, wollen sie sich herauswinden. Was sagt man dazu? Im selben Geist erklärt Schostakowitsch der Sowjetskaja Musika: Wenn ein Kritiker von Arbeiter und Theater oder dem Roten Abendblatt schreibt, in dieser oder jener Sinfonie stünden Oboe und Kla
rinette für sowjetische Beamte und die Blechbläser für die Rote Armee, möchte man schreien!
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    Nun, bei mir im Amt trauen wir unseren Ohren. Und wenn Schostakowitsch sich mit uns anlegen will, nehmen wir ihn mit in den Keller und zeigen ihm, was es mit dem Schreien

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