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für eine Bewandtnis hat. Er besitzt die Unverschämtheit, ihr langes, dunkles Haar zu leugnen.
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Ich schwöre Ihnen, dass er vom ersten Händchenhalten an – vom allerersten! – wirklich daran glaubte; sie war bereit, einsam, wunderschön; sie suchte jemanden, den sie von ganzem Herzen lieben konnte, und er war der Richtige; sie wollte für ihn sorgen und wusste sogar besser als er, wie sehr er das brauchte – er konnte sich noch nicht einmal die Krawatte selber binden und, nun ja, Sie wissen schon. Er glaubte daran, weil ein Künstler so rasch und tief im Glauben entbrennen muss, wie ein Kind in Tränen ausbricht. Was ist eine Schöpfung schon anderes als Glaube, der zur Tat wird? – Und nun ein Warnhinweis von J. Mrawinksi: Schostakowitschs Musik ist selbstironisch, womit ich Unaufrichtigkeit verbinde. Diese Maskerade hinterlässt den falschen Eindruck, Schostakowitsch sei gefühlvoll. In Wahrheit verbergen sich in seiner Musik sehr tiefe schwärmerische Gefühle, die sorgsam von der Außenwelt abgeschirmt werden.
10 Anders gesagt, ist Schostakowitsch nun gefühlvoll oder nicht? Gefühle verbergen – Gefühle! Könnte es sein, dass dieses schmachtende Sehnen, das ich aus dem Opus 40 heraushöre, eigentlich etwas anderes verdeckt? Aber hatte er Elena nicht geschworen, dass sie die Richtige für ihn sei? Und wie könnte Liebe selbstironisch sein? Gut, ich habe die Schaukelpferd-Sequenz nicht vergessen, aber ist diese Selbstverhöhnung nicht einfach Selbstverleugnung, der alte Trick aller Liebenden? Elena glaubt an mich, ich weiß es genau! Welch herrlicher Kitzel! Selbst Glikmann versteht das, auch wenn ich Glikmann vielleicht besser nichts erzählt hätte, weil … Was ist die Liebe anderes als Religion? Wir blicken einander in die Augen und glauben : Dieser Mensch ist der Richtige für mich! Das darfst du nie vergessen, Ljalja, so lange du auch lebst und was immer zwischen uns sein wird: Du wirst immer die Richtige für mich sein. Und mein Leben soll es Dir beweisen . Du wirst sehen. Sollertinski behauptet,
Elena sei einfach einsam gewesen. Was, wenn Elena einfach nur zwanzig war? Na gut, einsam bin ich auch. Oh, es ist so langweilig in diesem Zug von Moskau nach Baku. Warum habe ich nicht meine goldene Elenotschka entführt und mit nach Baku genommen? Oder erwartet sie, wie soll ich sagen, vom Schicksal zu viel? Mein Gott, Schicksal ist ein so lachhaftes Wort. Ich will versuchen, nicht zu sehr, na ja, warum nicht ? Ich bin noch jung. Der Alptraum von einem roten Wirbel wird mich nicht aufhalten! Ich könnte mit Elena neu anfangen und … Sie liebt mich. Ninuscha liebt mich auch, aber Elena, mein Gott, sie starrt mich an, voller Hoffnung und Verlangen; nichts kann ihre Liebe schmälern, wie die eines Kindes. Ich liebe Kinder. Ich möchte Vater werden. Ich werde Nina sagen, es sei, weil sie keine Kinder bekommen könne. Das wird ihr weniger wehtun als, Sie wissen schon. Es stimmt ja auch, Nina kann nämlich … Vielleicht kann ich es ihr postalisch sagen, dann muss ich nicht … Aschkenasi wird das für mich erledigen, wenn ich ihn herzlich bitte. Er ist sehr lieb, sehr lieb. Dann ist es vorbei! Sobald ich wieder in Ljalkas Armen liege, habe ich die Kraft, alles zu klären.
11 Wenn ich ihre Liebe doch nur immer davor schützen könnte, hinzufallen und sich die Knie aufzuschlagen, und vor allem davor, erwachsen zu werden, abgeklärt und verbittert! Dann wird sie mich noch, wenn sie alt ist, so anblicken wie heute; ich werde immer noch der Richtige für sie sein!
Stimmt es, dass du nicht einmal deiner Mutter und deinen Schwestern erzählt hast, dass du heiratest?
Das stimmt, meine liebe Elenotschka, o ja, weil, verstehst du, ich, ich wollte ja nicht . Komm, wir gehen in den Sommergarten und …
Was wolltest du nicht?
Ich wollte Nina nicht heiraten! Aber ich brachte es nicht über mich, ihr wehzutun, und sie, nun ja.
Und willst du ihr Ehemann bleiben?
Nein, sagte er entschlossen.
Und wenn du jemanden heiraten wollen würdest, wer wäre das?
Du, Elena!
Bist du dir sicher?
Ja, ich bin mir sicher.
Dann lachte sie vor Freude und warf sich auf ihn; das war der Ursprung des vierten Satzes (wieder allegro ); nennen wir ihn einen lebhaf
ten und doch würdevollen Tanz in Moll, keinen Totentanz – Skelette sind zu neckisch, zu dramatisch für so etwas! –, auch wenn das Opus 40 wirklich für einen Augenblick in jenes Grau verfällt, das für Schostakowitsch so typisch werden würde. Das Klavier
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