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erweckt es wieder zum Leben: Elena und Schostakowitsch streichen wie Katzen umeinander herum! Ein renommierter Pianist, der diese Komposition aufgeführt hat, hält dafür, ihr Leuchten sei eher finster als exhibitionistisch ; ich stimme dem nicht zu; Schostakowitsch ist glücklich!
12 Da kommt das Pizzicato: Elena zieht ihm zart und liebevoll die langen Fingernägel über den Bauch. Dann wirft das Piano sich fröhlich in ein warmes Bett aus Streichern, und das leuchtende lebhafte, fachkundige Liebesspiel funkelt uns an. (Warum fachkundig? Weil sie Fachleute füreinander sind. – Mitja, Lieber, ich bin so glücklich, dass ich fast Lebkuchengeschmack auf der Zunge habe!) Zurück zum Eröffnungslied, der sämigen russischen Melodie, die sich durch verschiedene postkoitale Variationen zieht; dann endet das Opus 40 mit dem köstlichen Überraschungslaut zuschnappender Zähne: Da hatte Elena ihn wieder gebissen – ein schönes Zeichen ihres Besitzanspruchs mitten auf seinem Hals!
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In Baku überzog der Wind den Flügel mit einer Schicht Sand. Zu seinem Konzert kamen so viele Menschen, dass wir ihn baten, am Tag darauf noch einmal zu spielen, was er auch tat, weil er nie Nein sagen konnte, wenn man nett zu ihm war; dann ging er im Restaurant »Neues Europa« essen und Zigeunerlieder hören. Immer wenn die Zigeuner von der Liebe sangen, war er den Tränen nahe. Jetzt wusste er, dass er ohne Elena sterben würde. Und er würde Nina in Jalta treffen. Er hatte Kopfschmerzen; das war alles Elenas Schuld …
Elenas Knutschfleck hatte zu jucken begonnen. Wenn er sich dort kratzte, war er glücklich. Wie konnte er das in Musik fassen? Er betrank sich und gab vor den Zigeunern damit an; sie applaudierten. Nun, im vierten Satz, ganz zum Schluss, da, da – wartet nur, ich werde es euch schon zeigen! Ich schenke ihr das ewige Leben, denn … Oh Ljalja, oh Gott. Wenn er an Elena dachte, wusste er, dass er alles erreichen konnte.
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Können wir, da sich in dieser Sonate so viele Souvenirs von ihr fanden – bestimmt warten noch viele weitere darauf, von den Musikwissenschaftlern entdeckt zu werden –, von einem Konstantinowskaja-Thema im Opus 40 sprechen?
Erlauben Sie mir zunächst einmal, für Menschen wie meinen braven Kollegen Pjotr Alexejew, einen musikalischen Analphabeten, drei Unterscheidungen zu treffen: Motiv ist ein Begriff ganz aus dem neunzehnten Jahrhundert, der sich unmöglich auf unsere sowjetische Musik von heute anwenden lässt. [ 15 ] Leitmotiv, ein Begriff, den wir insbesondere auf Wagner angewendet finden, bezeichnet eine sehr kurze, an eine Figur, ein Objekt oder einen Vorgang gebundene Passage, zum Beispiel die Feuerzauber-Musik. Überlassen wir das den Faschisten, sage ich! Das Thema wird, zumindest bei Schostakowitsch, ausgearbeitet, entwickelt, ist länger.
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In fortschrittlichen sozialen Kreisen ist man sich heutzutage weitgehend einig, dass die gesamte Menschheit einen großen Superorganismus bildet. Wenn man diesen zutreffenden Gedanken auf die Kultur überträgt, warum dann nicht das Werk Schostakowitschs als Ganzes betrachten? So gesehen lässt sich von 1934 bis 1960 ein Konstantinowskaja-Thema verfolgen. Beria, Jagoda und T. N. Chrennikow zufolge zeichnet es sich durch Regenbogenfarben aus, die sich überraschend in Pfützen aus metallischem Grau auflösen, Tanzmelodien, schwankend zwischen Schwerfälligkeit und karger Reduktion, und, das Fröhlichste daran, achromatische Strukturen, die sich in Regionen jenseits
des menschlichen Fassungsvermögens aufschwingen; die spätere Fuge in a-Moll aus dem Opus 87 ist ein perfektes Beispiel dafür.
Aus Treue zum Staat muss ich nun einen Schritt zurücktreten und das große Ganze in den Blick nehmen. Dürfen wir den Kontext des Konstantinowskaja-Themas offenlegen? Wie lässt sich das Wesen der Produktion von D. D. Schostakowitsch definieren?
Der ostdeutsche Musikwissenschaftler Ekkehard Ochs, der seine Worte nach Schostakowitschs Tod im Geiste angemessener Ehrerbietigkeit unter Genossen schrieb, erinnert uns an den dialektischen Prozess: Wenn die Welt sich verändert, dann verändert sich auch der Mensch, verändert sich … auch die Kunst.
15 Die gleiche Quelle spricht von der Dialektik von Leben und Tod, die sich in seinen Sinfonien finde. Im selben Geist schreibt Schostakowitsch einer gewissen E. Konstantinowskaja : Ich versuche, Dich nicht mehr zu lieben, und liebe Dich nur umso mehr. In meiner Liebe zu Dir ist viel Enttäuschung und
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