Evas Auge
fehlt. Das hier kriegt nichts ab.«
Sie hob mit zwei Fingern ein Schweinchen hoch und sah ihre Mutter fragend an.
»Hm. Sowas kommt vor. Solche Ferkel müssen verhungern, oder sie müssen mit der Flasche gefüttert werden, und dazu hat der Bauer meistens keine Zeit.«
Darüber dachte Emma eine Weile nach.
»Der Dino kann es kriegen. Der muß doch auch was essen.«
»Aber der frißt doch nur Gras und Blätter und so, oder nicht?«
»Der hier nicht, das ist ein Fleischfresser«, erklärte Emma und preßte das Ferkel durch die scharfen Zähne des grünen Monstrums.
Eva schüttelte staunend angesichts dieser praktischen Lösung den Kopf. Über Kinder wunderte sie sich immer wieder. Und in diesem Moment hörten sie von draußen ein Motorengeräusch. Emma stürzte so schnell wie möglich auf den Flur, um ihren Vater zu begrüßen.
Eva hob mühsam den Kopf, als er in der Tür auftauchte. Dieser Mann war der Leuchtturm in ihrem Leben gewesen. Wenn Emma neben ihm stand, wirkte sie kleiner und zierlicher als sonst. Die beiden paßten zusammen, beide mit rötlichen Haaren und vielen überflüssigen Kilos. Sie liebten sich auch, und darüber war sie froh. Sie war niemals eifersüchtig gewesen, nicht einmal auf die neue Frau in seinem Leben. Es machte sie sehr traurig, daß er sie verlassen hatte, aber wo das nun einmal geschehen war, wünschte sie ihm viel Glück. So einfach war das.
»Eva!« Er lächelte und nickte, und dabei wippte sein rotblonder Schopf. »Du siehst müde aus.«
»Ich habe im Moment auch einiges am Hals.«
Sie strich sich den Rock gerade.
»Künstlersachen?« fragte er ganz ohne Ironie.
»Nein. Konkrete irdische Angelegenheiten.«
»Sehr ernst?«
»Viel schlimmer, als du dir vorstellen kannst.«
Er dachte kurz über diese Antwort nach und runzelte die Stirn.
»Wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann mußt du Bescheid sagen.« »Es kann schon passieren, daß du mir helfen mußt.«
Er blieb stehen und starrte Eva besorgt an, während Emma an seinem Hosenbein hing; das Kind war so schwer, daß er fast aus dem Gleichgewicht geraten wäre. Er empfand tiefes Mitgefühl, aber sie lebte in einer Welt, die ihm völlig fremd war, einer Künstlerinnenwelt. Er hatte sich dort nie heimisch gefühlt. Und doch war sie ein wichtiger Teil seines Lebens und würde das auch immer bleiben.
»Hol deine Tasche, Emma, und gib Mama einen Kuß.«
Emma gehorchte voller Eifer. Dann verschwanden Vater und Tochter. Eva trat ans Fenster und sah ihnen hinterher, sah zu, wie das Auto losfuhr, dann setzte sie sich wieder. Mit den Beinen auf dem Sofa und dem Kopf über der Rücklehne. Sie schloß die Augen. Es war angenehm halbdunkel im Zimmer, und ziemlich still. Sie atmete so gleichmäßig und ruhig, wie sie konnte, und ließ die Stille in sich einsinken. Sie mußte diese Zeit in vollen Zügen genießen, sich daran erinnern und sie in sich aufbewahren. Sie wußte, daß sie nicht von Dauer sein würde.
---
S ejer hatte sich einen großzügigen Whisky eingeschenkt und den Hund aus dem Sessel vertrieben. Ein Leonberger-Männchen, siebzig Kilo schwer und fünf Jahre alt, aber eigentlich noch ziemlich kindisch, es hieß Kollberg. Das heißt, eigentlich hieß Kollberg ganz anders, da der Züchter seinen Tieren seine eigenen Namen gab. In diesem Fall hatten sie Liedtitel der Beatles benutzt. Sie hatten ganz vorn im Alphabet angefangen, und als Kollberg geboren wurde, waren sie bei L angekommen. Also wurde ihm der Name »Love me do« verpaßt. Seine Schwester hieß »Lucy in the sky«. Sejer stöhnte bei diesem Gedanken.
Der Hund resignierte mit schwerem Seufzer und legte sich ihm zu Füßen. Der große Kopf ruhte auf Sejers Spann und war schuld daran, daß ihm in seinen Tennissocken der Schweiß ausbrach. Aber Sejer brachte es nicht übers Herz, die Füße wegzuziehen. Außerdem war es auch schön, im Winterzumindest. Er nippte an seinem Whisky und steckte sich eine selbstgedrehte Zigarette an. Das war sein Laster in diesem Leben, das eine Glas Whisky, und eine einzige Selbstgedrehte. Weil er so wenig rauchte, spürte er sofort, daß sein Herz etwas schneller schlug. An stillen Tagen fuhr er zum Fallschirmspringen zum Flugplatz, aber das betrachtete er nicht als Laster, anders, als das bei Elise der Fall gewesen war. Aber jetzt war er schon seit sieben Jahren Witwer, und seine Tochter war erwachsen und versorgt. Außerdem war Sejer kein Waghals, er sprang nur bei idealen Wetterverhältnissen und versuchte sich nie an
Weitere Kostenlose Bücher