Evas Auge
Sie den Wagen von uns zurückbekommen haben, haben Sie ihn verkauft?«
»Ja. Ich kann mir den Führerschein doch nicht leisten, deshalb habe ich den Wagen an meinen Bruder verkauft. Außerdem brauchte ich das Geld. Den Wagen, und das Werkzeug, das hinten lag. Schraubenschlüssel und einen Wagenheber. Und noch allerlei Kram, von dem ich nicht wußte, wozu er dient. Und irgend etwas fehlte, war verschwunden.«
»Was denn?«
»Das fällt mir jetzt nicht ein. Mein Bruder hat danach gefragt, und wir haben es gesucht, konnten es aber nicht finden. Ich weiß einfach nicht mehr, was das war.«
»Denken Sie nach. Das kann wichtig sein.«
»Nein, ich glaube nicht, daß es etwas Wichtiges war, aber ich weiß es nicht mehr. Wir haben auch in der Garage gesucht.«
»Rufen Sie uns an, wenn es Ihnen noch einfällt. Können Sie Ihren Bruder fragen?«
»Der ist auf Reisen. Aber er kommt ja auch mal wieder nach Hause.«
»Frau Einarsson«, sagte Sejer und erhob sich, »danke für den Kaffee.«
Sie fuhr aus ihrem Sessel hoch, ein bißchen rot und verdutzt, weil er plötzlich gehen wollte, und brachte ihn zur Tür. Er verbeugte sich und ging zum Parkplatz. Als er den Schlüssel ins Schloß steckte, entdeckte er den Kleinen. Der stand mit beiden Füßen in einem Blumenbeet und machte sich heftigst am Erdboden zu schaffen. Seine Turnschuhe sahen schrecklich aus.
Sejer winkte.
»Hallo. Will niemand mit dir spielen?«
»Nein.« Der Junge lächelte verlegen. »Warum haben Sie keinen Streifenwagen, Sie sind doch jetzt bei der Arbeit?«
»Gute Frage. Aber weißt du, eigentlich bin ich schon auf dem Heimweg. Ich wohne ein Stück weiter die Straße rauf, und ich brauche so nicht mehr zurück zur Wache, um die Autos auszutauschen.«
Er überlegte kurz. »Bist du schon einmal mit einem Streifenwagen gefahren?«
»Nein.«
»Wenn ich deine Mutter das nächste Mal besuche, dann komme ich mit dem Dienstwagen. Und dann kannst du ein Stück mit mir fahren, wenn du Lust hast.« Der Junge lächelte von einem Ohr zum anderen, allerdings mit einem gewissen Zweifel, vielleicht aus bitterer Erfahrung.
»Versprochen«, beteuerte Sejer. »Und ich komme bestimmt schon bald wieder.« Er setzte sich hinter das Steuer und fuhr langsam los. Im Rückspiegel sah er einen dünnen Arm winken.
Er dachte noch immer an den Jungen, als er links an der Trabrennbahn und rechts an der Mormonenkirche vorbeifuhr. »Und Gnade dir, Konrad«, sagte er zu sich selber, »wenn du nächstes Mal den Streifenwagen vergißt.«
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E mma spielte auf dem Wohnzimmerboden mit einem Bauernhof.
Die Tiere waren ordentlich in Reihen aufgestellt, die hellroten Schweine, die rotweißgefleckten Kühe, die Hühner und die Schafe. Ein Tyrannosaurus Rex überwachte alles, der Kopf mit dem winzigkleinen Gehirn reichte gerade bis an den Scheunengiebel.
In regelmäßigen Abständen lief Emma zum Fenster und hielt eifrig Ausschau nach dem Auto ihres Vaters. Sie verbrachte jedes zweite Wochenende bei ihm und freute sich jedes Mal.
Auch Eva wartete. Sie saß angespannt auf dem Sofa und wartete, die Kleine mußte aus dem Haus, damit Eva in Ruhe nachdenken konnte. Normalerweise arbeitete sie an diesen freien Wochenenden. Jetzt war sie vollständig handlungsunfähig. Jetzt sah alles anders aus. Sie hatten ihn gefunden.
Emma hatte den Toten seit Tagen nicht mehr erwähnt. Aber das mußte nicht heißen, daß sie ihn vergessen hatte. Sie konnte ihrer Mutter ansehen, daß er nicht erwähnt werden durfte, und wenn sie auch nicht begriff, warum nicht, nahm sie doch Rücksicht darauf.
Im Atelier stand eine Leinwand auf der Staffelei. Die Leinwand war schon fertig grundiert, schwarz, ohne eine Andeutung von Helligkeit. Eva mochte nicht hinsehen. Erst hatte sie soviel anderes zu erledigen. Sie setzte sich aufs Sofa und horchte ebenso intensiv wie Emma auf das Geräusch des roten Volvo, der jeden Moment auf den Hof fahren konnte. Auf dem Bauernhof herrschte die allerschönste Ordnung, abgesehen von dem grünen Ungeheuer, das hinter der Scheune drohte. Es sah seltsam aus.
»Dieser Dinosaurier paßt wohl nicht ganz dazu, Emma, oder was meinst du?«
Emma zog einen Flunsch.
»Weiß ich doch. Der ist nur zu Besuch.«
»Ach so. Das hätte ich mir ja denken können.«
Eva zog die Beine an und strich den langen Rock über ihren Knien gerade. Versuchte, alle Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen. Emma setzte sich wieder und schob ein Ferkel nach dem anderen unter den Bauch der Sau.
»Eine Zitze
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