Evas Auge
Tage nacheinander passiert. Einarsson hat im Königlichen Wappen verkehrt, Durban hat dreihundert Meter davon entfernt gewohnt. Wir sollten uns das mal genauer ansehen. Schau mal!«
Er stand auf, trat vor den Stadtplan an der Wand und nahm zwei rote Markierungsnadeln aus einer Schachtel. Mit großer Präzision, ohne erst suchen zu müssen, plazierte er eine im Wohnblock in der Tordenskioldsgate und die andere im Königlichen Wappen. Dann setzte er sich wieder.
»Sieh dir die Karte an. Das da ist die gesamte Stadt, die Karte mißt zwei mal drei Meter.«
Er griff nach Karisens Leselampe, die sich in alle Richtungen verdrehen ließ. Jetzt richtete er das Licht auf die Karte.
»Maja Durban wurde am 1. Oktober ermordet aufgefunden. Am 5. Oktober wurde Einarsson ermordet, zumindest können wir annehmen, daß es an diesem Tag passiert ist. Das hier ist eine brave Kleinstadt, wir waten nicht gerade in solchen Ereignissen, aber sieh mal, wie dicht die Nadeln beieinander sitzen.«
Karlsen starrte auf den Plan. Die Nadel leuchteten wie rote, engsitzende Augen auf dem schwarzweißen Stadtplan.
»Das stimmt natürlich. Aber sie haben sich doch nicht gekannt, soviel wir wissen.«
»Wir wissen so vieles nicht. Wissen wir eigentlich überhaupt etwas?«
»Du bist ja vielleicht pessimistisch! Ich finde aber auf jeden Fall, daß wir Einarssons genetischen Fingerabdruck herstellen und mit Durban vergleichen sollten.«
»Eben. Es ist ja schließlich nicht unser Geld.«
Sie aßen eine Weile schweigend weiter. Daß sie einander sehr schätzten, war klar, wurde aber nicht ausgesprochen. Sie machten deshalb kein Aufhebens, empfanden aber eine solide Sympathie füreinander und pflegten diese voller Geduld. Karlsen war zehn Jahre jünger und hatte eine Frau, die ihn in Anspruch nahm. Deshalb hielt Sejer sich zurück, die Familie galt ihm als heilige Institution. Eine Beamtin, die in der Tür auftauchte, riß ihn aus diesen Gedanken.
»Zwei Mitteilungen«, sagte sie und reichte ihm einen Zettel. »Und Andreassen von TV 2 hat angerufen, er will wissen, ob du dich zum Fall Einarsson äußern magst.«
Sejer erstarrte und verdrehte die Augen.
»Äh, vielleicht ist das etwas für dich, Karlsen? Du bist doch etwas fotogener als ich.«
Karlsen grinste. Sejer mochte einfach nicht öffentlich auftreten; er hatte nur wenige Schwächen, aber das war eine von ihnen.
»Tut mir leid. Muß zu einem Seminar, weißt du das nicht mehr? Bin erst in zehn Tagen wieder da.«
»Frag Skarre. Der wird sicher außer sich vor Begeisterung sein. Soll er ruhig, solange ich nicht unter dieser Höhensonne sitzen muß. Sag ihm jetzt sofort Bescheid!«
Die Beamtin lächelte und verschwand, während Sejer den Zettel studierte. Er warf einen Blick auf die Armbanduhr. »Am kommenden Wochenende ist auf Jarlsberg Seniorenspringen, wenn das Wetter sich hält.« Und: »Jorun Einarsson anrufen.« Er ließ sich Zeit, aß fertig und stellte dann den Stuhl zurück an seinen Platz. »Ich muß mal kurz weg.«
»Ja, meine Güte, du sitzt ja schon fast eine halbe Stunde hier. Dir wächst sicher schon Moos an den Schuhspitzen!«
»Der Fehler ist eben, daß die Leute den ganzen Tag in der Bude hocken«, erwiderte Sejer. »Hier in diesem Haus passiert doch nichts, oder was?«
»Stimmt. Aber du hast wirklich ein verdammtes Talent dafür, dir Aufträge an der frischen Luft zuzuschanzen. Darin bist du wirklich begabt, Konrad.«
»Alles nur eine Frage der Phantasie«, sagte Sejer.
»Du, Moment noch.«
Karlsen schob die Hand in die Hemdtasche und sah verlegen aus.
»Meine Frau hat mir eine Einkaufsliste mitgegeben. Kennst du dich mit solchen Frauensachen aus?«
»Versuch’s mal.«
»Hier, unter Schweinekamm, hier steht ›Slipeinlagen‹. Hast du eine Ahnung, was das sein kann?«
»Kannst du nicht anrufen und fragen?«
»Sie kommt nicht ans Telefon.«
»Versuch’s mal bei Frau Brenningen. Aber ich finde, das klingt wie Strumpfhosen oder sowas. Viel Glück!«
Schmunzelnd verschwand Sejer.
Er hatte sich gerade ins Auto gesetzt und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, als es ihm einfiel. Er stieg wieder aus, schloß ab und ging zu einem Streifenwagen hinüber, das hatte er dem kleinen Einarsson doch versprochen. Mikkelsen war jetzt sicher wie die meisten Leute bei der Arbeit, deshalb steuerte er zuerst die Rosenkrantzgate an. Jorun Einarsson stand auf der kleinen Rasenfläche vor dem Haus und hängte Wäsche auf. Ein Schlafanzug mit einem Bild von Tom und Jerry
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