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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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halsbrecherischen Manövern. Er mochte einfach den rasenden Fall durch die Luft, das Gefühl, alle Verankerung loszulassen, die schwindelnde Perspektive, die Übersicht, die sie ihm gab, die Bauernhöfe und Felder tief unten mit ihren schönen Mustern in gedämpften Farben, das helle schöne Straßennetz dazwischen, wie das Lymphsystem eines Riesenorganismus, die ordentlichen Reihen von roten, grünen und weißen Häusern. Der Mensch ist wahrlich ein Wesen, das Systeme braucht, dachte er und blies den Rauch zur Lampe hoch.
    Auch Egil Einarsson hatte ein System besessen, mit seinem geregelten Leben, der Arbeit in der Brauerei, mit Frau und Sohn, einem festen Freundeskreis und der Kneipe auf dem Südufer. Eine feste Route, Jahr für Jahr, Zuhause, Brauerei, Zuhause, Kneipe, Zuhause. Das Auto mit den vielen winzigen Teilen, die geputzt und geschmiert und nachgezogen werden mußten. Woche um Monat um Jahr. Keinerlei Vorstrafen. Nichts irgendwie Dramatisches war in seinem Leben passiert, er hatte wie alle anderen Kinder die Schule irgendwie hinter sich gebracht, ohne großes Aufsehen zu erregen, war konfirmiert worden, hatte in Göteborg zwei Jahre lang eine Ausbildung als Ingenieur absolviert, für die er dann kaum Verwendung fand, und war schließlich als Brauereiarbeiter geendet. Hatte sich wohl gefühlt. Genug verdient. Hatte im Leben nie die großen Höhen erklommen, hatte aber auch nicht viele Sorgen gehabt. Ein einfacher Bursche. Seine Frau war ziemlich hübsch und nahm ihm sicher einiges ab. Und dann hatte jemand ein Messer in ihn hineingerammt. Fünfzehn Mal, dachte Sejer, wie konnte ein Mann wie Einarsson solche Leidenschaften wecken? Er trank mehr Whisky und ließ seinen Gedanken weiter freien Lauf. Es stimmte natürlich, daß sie neue Namen auf der Liste brauchten, Personen, an die sie noch nicht gedacht hatten, mit denen er reden könnte, damit sich plötzlich ein neuer Winkel ergab und neues Licht über die ganze Tragödie fiel. Immer wieder hatte er an diesem Auto herumgepusselt. Opel Manta, achtundachtziger Modell. Plötzlich wollte er ihn verkaufen. Jemand, irgendwer, hatte sein Interesse daran gezeigt, so mußte es gewesen sein. Er hatte keine Anzeige aufgegeben, hatte niemandem erzählt, daß er ihn verkaufen wollte, das hatten sie überprüft. Sejer zog an seiner Zigarette und behielt den Rauch noch einige Sekunden lang im Mund. Von wem hat er das Auto gekauft, fragte er sich plötzlich. Gerade diese Frage hatte er sich noch nie gestellt. Vielleicht hätte er das tun sollen. Er stand auf und ging zum Telefon. Als er am anderen Ende der Leitung das Klingeln hörte, dachte er, daß es vielleicht schon zu spät sei, um noch irgendwo anzurufen. Frau Einarsson meldete sich beim zweiten Schellen. Sie hörte zu, ohne Fragen zu stellen, und dachte dann kurz nach. »Den Kaufvertrag? Ja, der ist sicher bei den Hauspapieren. Warten Sie einen Moment.«
    Er wartete und hörte, wie Schubladen herausgezogen und mit einem Knall wieder zurückgeschoben wurden, und wie Papier raschelte.
    »Der ist fast nicht zu lesen«, klagte sie.
    »Versuchen Sie es. Ich kann ihn morgen holen, wenn Sie ihn nicht entziffern können.«
    »Hier steht auf jeden Fall Erik Børresens gate. Mikkelsen, glaube ich. Vornamen und Hausnummer kann ich nicht lesen. Falls es nicht 5 heißen soll; 5 wäre möglich. Oder 6. Erik Børresens gate 5 oder 6.«
    »Das reicht bestimmt. Vielen Dank.« Er notierte alles auf dem Block neben dem Telefon. Es war wichtig, nichts zu übersehen. Wenn er nicht feststellen konnte, wer sich für das Auto interessiert hatte, dann konnte er immerhin herausfinden, woher es gekommen war. Das war doch auch schon etwas.
    ---
    D er nächste Tag ging schon zu Ende, als Karlsen mit zwei Krabbenbroten und einer Cola aus der Kantine kam. Er hatte sich gerade gesetzt und eine Krabbe aufgespießt, als Sejer in der Türöffnung auftauchte. Der eher asketische Hauptkommissar hatte zwei Käsebrote und eine Flasche Mineralwasser bei sich, unter seinem Arm klemmte die Zeitung. »Darf ich mich zu dir setzen?«
    Karlsen nickte, tunkte die Krabbe in Mayonnaise und schob sie sich in den Mund.
    Sejer setzte sich, schob den Stuhl an den Tisch und nahm eine Käsescheibe vom Brot. Er rollte sie zusammen und biß die Spitze ab.
    »Ich habe mir Marie Durban aus der Schublade geholt«, sagte er.
    »Warum denn? Da gibt es doch sicher keinen Zusammenhang?«
    »Wahrscheinlich nicht. Aber bei uns gibt es nicht so viele Morde, und sie sind nur wenige

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