Evas Auge
einen hohen Sprung und hing danach mit Kopf und Armen im Haus, die Beine hingen draußen. Das Fenster kratzte über ihren Rücken. Die Küche war stockfinster, aber sie konnte unter sich den Küchenschrank ertasten, und deshalb zog sie sich vorsichtig über die Kante, blieb jedoch mit dem Fuß an der Fensterbank hängen und stürzte zu Boden. Dabei riß sie Tassen und Töpfe mit, überall krachte und klirrte es, und sie schlug mit dem Kinn auf den Boden auf. Einen Moment lang blieb sie zappelnd liegen und verwickelte sich dabei in einen Flickenteppich. Dann setzte sie sich auf und rang um Atem. Geschafft.
Vor allen Fenstern hingen dichte schwarze Vorhänge. Licht konnte auf keinen Fall hindurchsickern. Sie knipste die Taschenlampe an.
Ihr weißer scharfer Strahl traf genau den Kamin. Eva ging mitten ins Zimmer und versuchte, sich zu orientieren. Auf dem Sofa lag eine karierte Decke, auf der hatte Maja gesessen und ihre vielen Abenteuer erzählt. Und damals waren sie erst dreizehn gewesen. Die anderen hatten sie in einer Mischung aus Entsetzen und Ehrfurcht angestarrt. Einige hatten die Augen niedergeschlagen. Und Ina hatte den Mund verzogen und nicht mehr hören wollen, sie war nämlich sehr fromm.
Im Kamin stand ein Troll mit Warzen auf der Nase und einer Tanne in der Hand. Unter der Decke hing eine Hexe und glotzte Eva aus schwarzen Knopfaugen an. Sie sah den Eßtisch, hoch oben an der Wand einen kleinen Eckschrank, das Büfett mit Tassen und Töpfen. Eine Kommode, sicher für Handschuhe und Mützen. Zwei kleine Schlafzimmer mit offenen Türen. DieKochnische mit Schränken und Schubladen. Der kleine Eisenring im Boden und die Luke, die sie öffnen mußten, um in den Vorratskeller zu gelangen. Übrigens ein hervorragendes Versteck, dunkel und kalt. Oder der Werkzeugschuppen, und das ans Haus angebaute Klo, sie mußten nur durch den Gang, sie waren immer zu zweit gegangen, hysterisch und außer sich vor Angst, weil Maja laut aus dem Kriminaljournal vorgelesen hatte, eine Geschichte, in der das Opfer zerlegt worden war. Sie zog die Schultern hoch und nahm die Petroleumlampe mit. Und der Gasherd wäre auch ein gutes Versteck. »Daß ihr mir ja das Haus nicht in die Luft jagt!« waren die letzten Worte des Vaters gewesen, als er zum Auto gegangen war. Über dem Sofa gab es zwei riesige Bücherregale, mit Taschenbüchern und vielen Comics. Maja hatte ein paar Pornos mitgehabt, das fiel Eva jetzt ein, sie hatten sich gegenseitig daraus vorgelesen, das aber erst, wenn Ina schon im Bett war.
Eva fror. Sie durfte hier nicht herumtrödeln, sie mußte sich entscheiden, wie sie vorgehen wollte. Mußte versuchen, sich in Maja hineinzuversetzen, erraten, was sie gedacht hatte, als sie hier mit ihrem Vermögen in den Händen stand und sicher gehen wollte, daß niemand es finden würde. Maja hatte viel Phantasie gehabt, ihr konnte durchaus etwas ganz Ungewöhnliches eingefallen sein. Eva mußte sofort an das Klo denken. Vielleicht lag das Geld im Kot begraben. Oder, bei Gott – konnte es irgendwo draußen unter dem Heidekraut verbuddelt worden sein? Sie stand auf, versuchte, ihre Panik zu zügeln. Ihre Zeit war begrenzt, sie mußte hier fertig sein, ehe es hell wurde. Die Eliminierungsmethode, dachte sie dann, die Stellen ausschließen, wo das Geld ganz bestimmt nicht war. Die nächstliegenden Stellen. Wie das Büfett, der Eckschrank und die Kommode. Systematisch und ruhig suchen, sie stellte sich vor, daß das Geld vielleicht in Plastiktüten stecke, oder in von Gummibändern zusammengehaltenen Briefumschlägen, geschützt vor Feuchtigkeit. Im ersten Schlafzimmer stand eine Kommode. Auch die verwarf Eva, sie konzentrierte sich auf die eher außergewöhnlichen Möglichkeiten. Zuerst den Vorratskeller, der bot immerhin die größten Probleme. Sie schob die Finger unter den Eisenring und hob die Luke an. Ein schwarzes Loch klaffte ihr entgegen, und eiskalte Luft wehte sie von unten her an. Vielleicht gab es dort unten Ratten. Die Luke konnte mit einer Kette offengehalten werden, und Eva kletterte mit der Taschenlampe in der Hand nach unten. Sie konnte hier nicht aufrecht stehen, sie ging in die Hocke und leuchtete die Wände an, Einmachgläser und Gewürzgurken, Rotwein, Weißwein, Sherry, Portwein und noch mehr Einmachgläser. Eine Plätzchendose mit Bildern von Schneewittchen und Aschenputtel. Eva schüttelte die Dose und hörte, wie die Plätzchen vor Schreck hüpften und tanzten. Gefrorene Kartoffeln mit langen Keimen,
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